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Das Land am Feuerfluss - Roman

Das Land am Feuerfluss - Roman

Titel: Das Land am Feuerfluss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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entfernt, und niemand mit gesundem Menschenverstand würde bei dem Wetter hier draußen umherwandern.«
    »Genau das meine ich ja«, schrie sie. »Das ist ein Verrückter, und wenn wir hier nicht abhauen, wird er – wird er –«
    »Um Himmels willen«, seufzte er verzweifelt, drehte den Schlüssel im Zündschloss und nahm die Fahrt wieder auf. »Du siehst Gespenster. Da draußen ist niemand.«
    Er hatte den Zug früher als geplant verlassen. Den Anzug hatte er getauscht gegen die vertrauten und bequemeren Sachen in Tarnfarben – eine ausgebleichte Hose und ein Hemd –, die er von den Briten bekommen hatte, als sie das Lager befreit hatten. Der abgetragene Militärmantel lag zusammengerollt im Seesack für den Fall, dass das Wetter umschlug oder er in einer kühlen Nacht im Outback eine Decke brauchte.
    Nachdem er sich weiter in den Schatten zurückgezogen hatte, hatten die Tarnfarben der Kleidung ihn vor dem Mann verborgen. Aber die Frau hatte ihn entdeckt, und sein Puls raste noch immer vor Schreck über die eigenartige, unerwartete Begegnung. Er wartete, bis die Rücklichter des Wagens in der Ferne verschwunden waren.
    Erinnerungen an das Verstecken im Dschungel kehrten mit aller Macht zurück. Daran, wie er die Feinde hörte, die auf der Suche nach ihnen waren, wie er ihre Lichter sah und ihren Schweiß roch, wenn sie mit Bajonetten ins dichte Laubwerk stießen und mit Macheten auf Lianen eindroschen, die so dick wie der Arm eines Mannes wurden. Schweiß rann ihm über Gesicht und Rücken. Er ließ sich an der rauen Rinde eines Baumstamms zu Boden gleiten, bemüht, diese Bilder zu vertreiben und sich wieder zu beruhigen.
    Mit zitternden Händen griff er in den Seesack und zog die Tabakdose, eine Zündholzschachtel und ein schmales Päckchen Zigarettenpapier heraus. Das Drehen einer Zigarette entspannte ihn schließlich. Er zündete sie an und inhalierte genüsslich. Nach dem getrockneten Gras und dem dünnen Toilettenpapier, das sie im Lager geraucht hatten, schmeckte sie so gut; er wollte diesen süßen Moment des Triumphes auskosten, denn der Feind war besiegt und die eigenen Ängste vorerst auch.
    Das Gewitter wütete noch immer, doch der Wind frischte auf, dessen heißer Atem ihn selbst im kühlen Schatten der Bäume erreichte. Er war seit fast einer Woche zu Fuß unterwegs. Gern wäre er hiergeblieben, um zu rasten, den Kopf auf den Seesack gelegt; der weiche, trockene Waldboden bot eine ideale Matratze für seinen erschöpften Körper, das Laubdach das einzige Dach, das er je brauchen würde. Aber er war noch immer viele Meilen von seinem Ziel entfernt, und er wusste nicht, wie viel Zeit ihm noch blieb, bis der nagende Schmerz im Bauch unerträglich werden und seine spärliche Kraft versiegen würde.
    Er lehnte sich an den Baum, genoss die Zigarette und ließ die Gedanken mit dem Rauch ziehen. Freiheit war ein wertvolles Gut. Als er versuchte, das japanische Gefangenenlager zu überleben, sehnte er sich nach den einfachen Dingen: nach dem Duft von Pinien und Eukalyptus im Wind; nach den endlosen Weiten, in denen man tagelang reiten konnte, ohne jemanden zu treffen; nach dem Keckern der Elstern und dem Flöten der Würgerkrähen. Aber es gab Bedürfnisse, die noch kostbarer waren: das Lächeln eines geliebten Menschen zu sehen, das Lachen eines Kindes zu hören und die tiefe Zufriedenheit zu spüren, die nur dort zu finden war, wohin er wirklich gehörte.
    Er ballte die Faust, als die Wut in ihm hochkam. Seine Freiheit hatte einen schrecklichen Tribut gefordert, und in gewisser Weise war er noch immer eingesperrt – hinter den unsichtbaren, aber unüberwindlichen Mauern des Schicksals. Denn seine Familie hielt ihn für tot, und es dabei zu belassen war für alle besser. Es würde keine freudige Heimkehr geben – kein Happy End –, nur einen heimlichen, flüchtigen Blick, um sich zu vergewissern, dass seine Lieben wohlauf und glücklich waren, bevor er sie zum letzten Mal verlassen würde.
    Dann würde er in den Weiten des Landes, das ihm so sehr ans Herz gewachsen war, versuchen, Erlösung zu finden angesichts seines Versagens, diejenigen zu retten, die zu beschützen er geschworen hatte. Mit dieser Erlösung hoffte er den Frieden zu finden, den er so dringend brauchte, um sich dem Unvermeidlichen zu stellen und es anzunehmen.
    Seine vom Schlaf schweren Augenlider flatterten, und er zwang sich, die Zigarette unter dem Stiefel auszudrücken und auf die Beine zu kommen. Er warf sich den Seesack

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