Das Land am Feuerfluss - Roman
verwildert, hatten sich aber an Gwyneth gewöhnt und waren ganz froh, hin und wieder gemolken zu werden. Dicht gedrängt standen sie unter den Bäumen hinten im Garten und meckerten. Ihre Nervosität verriet, dass sie das nahende Gewitter spürten, und Gwyneth entschied, nur die zahmsten Muttertiere zu melken.
Sie hockte sich auf einen niedrigen dreibeinigen Schemel, legte die Wange an die warme Flanke der Ziege, und schon bald spritzte Milch in den Eimer. Da hörte Gwyneth das unverwechselbare Geräusch des Autos vom Reverend. Ohne Zweifel hatte er beschlossen, seine beiden Jungen einzufangen, bevor Jake hinzugezogen wurde, und Gwyneth wünschte ihm insgeheim Glück. Die Jungen waren wahrscheinlich näher an Darwin als an Morgan’s Reach, und ihrem Vater stand eine lange Fahrt bevor.
Beim Knall einer Fehlzündung fuhr Gwyneth zusammen, und die Ziege schlug aus. Der scharfe Huf traf Gwyneth genau unterhalb ihres arthritischen Knies. Während sie, vor Schmerz keuchend, noch das Gleichgewicht auf dem Hocker zu halten versuchte, hatte der Wagen erneut eine Fehlzündung – direkt vor ihrer Hecke – und die Ziege trat mit beiden Hinterbeinen zugleich aus und traf Gwyneth direkt am Kiefer.
Während die Ziegen in den Busch flohen, fiel Gwyneth in die Milchpfütze, die aus dem umgeworfenen Eimer geflossen war. Außer Atem blieb sie liegen, starrte erschrocken in die ockerfarbenen Wolken, die über den düsteren Himmel jagten, und fragte sich, was um alles in der Welt geschehen war.
Als der Schock nachließ, machte der Schmerz sich breit. Ihr Knie pochte, doch ihr Kiefer fühlte sich an, als stünde er in Flammen. Gwyneth hoffte inständig, dass er nicht gebrochen war. Vorsichtig fuhr sie mit den Fingern über die Zähne und stellte erleichtert fest, dass alle noch an Ort und Stelle saßen. Doch selbst diese zarte Berührung war schmerzhaft. Gwyneth schmeckte Blut, und als sie sacht ihr Gesicht berührte, ertastete sie lose Hautfetzen. Ihr Unterkiefer schien in einem eigenartigen Winkel zu verharren.
Innerlich vor Schmerz zerrissen schloss sie die Augen. Ihr altes Herz stampfte wie eine Dampflok. Sehr wahrscheinlich hatte sie ein Problem, denn niemand konnte sie hier liegen sehen, und der Rest der Familie war mit den Patienten beschäftigt. Sie bezweifelte stark, dass Frances Baker zum Tee kommen würde, auch wenn ihr Mann und sein verdammtes Auto den Ort verlassen hatten. Und wenn doch, wäre Frances vermutlich alles andere als nützlich. Gwyneth wusste, dass sie nicht einfach dort liegen bleiben und warten konnte, bis man sie fand – sie verlor zu viel Blut.
»Hoppla«, krächzte Coco. »Hallo, hallo, hallo.«
Stöhnend richtete Gwyneth sich langsam auf. Bei jeder Bewegung schoss ihr eine Salve kochend heißen Schmerzes durch das Gesicht in den Kopf, und als sie ihr gesundes Knie benutzen wollte, um sich aufzurichten, spürte sie ein Pochen im anderen Bein. Sie packte den Schemel, stützte sich darauf, und allmählich gelang es ihr, sich darauf zu hieven.
Sie blieb lange dort sitzen, bemüht, wieder zu Atem zu kommen. Nur zu deutlich spürte sie das Blut, das vom Kinn tropfte, sowie die Wunde unter dem Riss in der alten Hose. Sollte sie es nicht bald über die Straße bis zum Krankenhaus schaffen, würde sie hier in Ohnmacht fallen, und es könnte Stunden dauern, bis sie gefunden würde.
»Hoppla«, schrie Coco wieder. »Arrg. Hübscher Junge.«
Sie fand es zu schmerzhaft, ihm zu sagen, er solle still sein und sich um den eigenen Dreck kümmern. Daher knurrte sie nur tief und konzentrierte sich darauf, an ihren Gehstock zu gelangen. Er war dummerweise gerade außerhalb ihrer Reichweite, also streckte sie vorsichtig das gesunde Bein aus und versuchte, ihn mit dem Fuß näher heranzuziehen.
Der Vorgang erschöpfte sie und schien eine Ewigkeit zu dauern, aber schließlich gelang es ihr. Sie wartete lange, bis sie wieder zu Atem gekommen war, und sammelte ihre Kräfte, um sich hinzustellen.
Der Schmerz in ihrem Kiefer war auszuhalten, solange sie den Kopf nicht bewegte. Sie stützte sich schwer auf den Gehstock, tat einen Schritt und schnappte nach Luft, als der Schmerz in ihrem Knie wie ein Messer durch sie hindurchfuhr. Aber sie konnte hier nicht bleiben. Sie musste weitermachen. Dennoch schien der Weg, den sie so oft um das Haus herum und über die Straße gegangen war, sich wie eine Marathonstrecke vor ihr auszudehnen.
An der vorderen Ecke ihrer Seitenveranda musste sie erneut anhalten und sich ausruhen.
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