Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Land am Feuerfluss - Roman

Das Land am Feuerfluss - Roman

Titel: Das Land am Feuerfluss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
ausfocht, ihn überforderte. Sie wollte schon sprechen, als er den Kopf hob und sie mit schmerzverzerrter Miene anschaute, den Blick verdunkelt von Erinnerungen.
    »Im Jahr 1914 war ich ein am Hungertuch nagender Künstler. Ich arbeitete als Reporter für die Sydney Times . Wie so viele junge Dummköpfe dachte ich, in den Krieg zu ziehen wäre ein Abenteuer – eine Gelegenheit, etwas von der Welt zu sehen, Tapferkeit zu beweisen und mit Ruhm überzogen nach Hause zu kommen.«
    Er verzog das Gesicht, schaute auf den Hund und kraulte ihm weiter die Ohren. »Aufgrund meiner Fähigkeiten wurde ich als Kriegskünstler ausgeschickt – ich sollte über die glorreichen Szenen des heroischen Kampfes berichten«, sagte er voller Sarkasmus. »Deshalb sah ich jede Frontlinie, jeden von Ratten verseuchten Schützengraben und mit Wasser gefüllten Bombenkrater. Ich habe Dinge erlebt, die niemand mit ansehen sollte, und die verfolgen mich bis heute – genau wie das unablässige Sperrfeuer der Kanonen und die nagende Furcht, die jedes Mal wieder hochkommt, wenn ich ein lautes Geräusch höre.«
    Er ließ den Kopf hängen, seine Stimme wurde leiser, während er diese Erlebnisse noch einmal durchmachte. »Die Angst war mit Händen zu greifen und packte uns alle – dennoch wagten wir nicht, sie zu zeigen, denn das hätte Feigheit bedeutet, bestraft vom Exekutionskommando.«
    Sal konnte seinen Schmerz nachempfinden und fragte sich, ob es richtig gewesen war, darauf zu bestehen, dass er diese Erinnerungen hervorholte. Anscheinend konnte er nicht mehr aufhören zu erzählen, nachdem er einmal damit angefangen hatte.
    »Unsere Sinne waren angespannt, denn wir wussten, dass jeder Augenblick unser letzter sein könnte – dass die nächste Bombe uns zerfetzen könnte, genau wie den Kumpel, der direkt neben uns gestanden hatte. Kein Mann war sicher – bis auf die Generäle, die meilenweit hinter den Linien in der Sicherheit ihrer gemütlichen Quartiere saßen und ihre Soldaten als Kanonenfutter benutzten.«
    Sal vernahm Bitterkeit in Max’ Stimme, als er fortfuhr. Als Künstler besaß er die Eloquenz, die Szenen bildhaft zu beschreiben, aber es geschah mit sehr wenig Emotionen – als müsse er sich von dem Geschehen distanzieren, um nicht den Verstand zu verlieren. Sie war 1914 erst zehn Jahre alt gewesen, aber sie hatte damals die endlosen Listen der Gefallenen und Verwundeten in den Zeitungen gesehen, die jede Woche veröffentlicht wurden, und besaß Reife genug, um Entsetzen zu fühlen. Aber alle, die aus diesem Krieg zurückkehrten, sprachen nur selten über das, was wirklich geschehen war – und nun wusste sie, warum.
    »Ich habe Glück gehabt«, sagte er viel später. »Ich bekam das, was die Briten einen ›Heimatschuss‹ nannten, und wurde zur Genesung nach England geschickt. Ein fliegender Granatsplitter hatte mein Wadenbein und mein Fußgelenk zertrümmert, und der Fußbrand kostete mich zwei Zehen. Ich überlebte die Grippeepidemie, der mehr Menschen zum Opfer fielen als den vier schrecklichen Kriegsjahren, und wurde 1921 wieder in die Heimat verschifft.«
    Mürrisch schaute er auf die verschmähte Schüssel Haferbrei. »Ich stellte fest, dass meine Zeichnungen als Kriegskünstler mich berühmt gemacht hatten, und man überhäufte mich mit Angeboten für Schirmherrschaften und Ausstellungen. Aber ich wollte das alles nicht. Daher packte ich meine Sachen und begab mich auf Wanderschaft.«
    Sal merkte, dass sich die Anspannung seiner Schultern allmählich löste und seine Miene weicher wurde.
    »Ich hatte keine Ahnung, wonach ich suchte«, fuhr er fort. »Ich wusste nur, dass ich Einsamkeit und Stille brauchte, damit ich alles Hässliche hinter mir lassen konnte. Als ich auf diesen Ort stieß, wusste ich, dass ich hier alles finden würde, was ich brauche – also bin ich geblieben.«
    Sein Blick war wieder klar, als er Sal anschaute und über den Tisch nach ihren Händen griff. »Ich weiß diese seltenen Momente zu schätzen, die wir zusammen haben, Sal – und du bist mir immer willkommen. Aber Freundschaft ist alles, was ich dir bieten kann, meine Liebe. Bitte, erwarte nicht mehr.«
    Sals Gesicht brannte vor Verlegenheit. »Das tue ich auch nicht«, stammelte sie. »Ich habe nicht –«
    Er legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Leugne es nicht, Sal, deine Liebe ist ein zu wertvolles Geschenk. Aber du darfst sie nicht an einen Mann vergeuden, der nicht fähig ist, sie zu erwidern.«
    Heiße Tränen rannen

Weitere Kostenlose Bücher