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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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ausreden lassen?«
    Poleyn schüttelte die Hand ihres Vorgesetzten ab, schlug den Gefangenen jedoch nicht. Der Hüne nickte Greaves zu und wandte sich dann Lady Astrea zu.
    »Sie verstehen es nicht, oder? Ich bin nicht wirklich ein Anführer. Sicher, wenn die Leute wütend sind, folgen mir ein paar von ihnen. Wenn sie einen Kampf wollen, wissen alle, dass ich ihr Mann dafür bin.« Er kratzte sich durch die Löcher in seinem zerlumpten Hemd hindurch an einer frisch genähten Wunde auf der Brust. »Aber das ist bloß wegen Crede. Er war ein echter Anführer. Er hatte immer einen Plan. Ich und meine Freunde … wir waren immer nur wütend. Crede hat uns gezeigt, wie wir diese Wut einsetzen können. Dank euch fühlt jetzt die halbe Stadt diese Wut.«
    Lady Astrea fixierte ihn mit einem kühlen Blick. »Ich habe Berichte über Sie gelesen, Mr Nick«, sagte sie leise. »Sie sind ein Schläger und ein Strolch und meistens mehr oder weniger betrunken. Sie haben Streit mit meinen Eintreibern angezettelt und, wo immer Sie auftauchten, Ärger verursacht. Und Sie wollen uns belehren, wie man anführt?«
    Nick erwiderte nichts, sondern kratzte sich nur weiter an der Brust.
    Poleyn verzog die Lippen. »Haben Sie nichts zu sagen, Nick?«
    Der Hüne hielt inne. Dann zog er bewusst sein Hemd ein wenig weiter auf. Der Gestank ließ Poleyn zurückfahren.
    »Sehen Sie diese Wunde?«, fragte er, auf die Vielzahl der Stiche deutend. »Ich stand oben auf einer Barrikade, als sie zusammenbrach. Das war vor einem Monat. Ich hätte tot sein sollen.«
    »Rühmen Sie sich jetzt?«, wollte Astrea wissen, auf finstere Weise amüsiert. »Ich versichere Ihnen, dass Sie nicht so leicht um Ihre gerechte Strafe herumkommen werden.«
    »Tatsache ist, ich bin nicht gestorben«, fuhr Nick langsam fort. »Weil mich nämlich jemand wieder zusammengeflickt hat. Jemand hat sich mitten im Kampf, während sich überall um uns herum die Leute prügelten und Steine flogen, neben mich gekniet und meine Wunden genäht und mich in Behandlung geschickt. Und alle, die dort waren, haben es gesehen.« Nick begegnete Astreas Blick. »Sein Name war Dr. Theophilus«, sagte er. »Vor diesem Tag habe ich ihn für einen Narren gehalten. Ich dachte, alle im Tempel wären nur Narren. Aber das sind die Leute, die jetzt unsere Anführer sind. Keine Kämpfer wie ich. Heiler. Leute, die nicht überhastet handeln, um zu gewinnen. Und nachdem wir das gemerkt haben, werden wir niemals zulassen, dass alles wieder so wird, wie es einmal war.« Er stand plötzlich auf. »Niemals.«
    Er machte einen Satz nach vorn. Poleyn pfiff erneut schrill in ihre Pfeife. Die Eintreiber fielen über Nick her, schlugen ihn immer wieder, bis er vor Schmerz aufstöhnte. Bald konnte er nicht mehr stehen, und die Eintreiber schleiften ihn aus dem Büro.
    Nachdem sie sich hastig vor Lady Astrea verbeugt und versprochen hatte, den Mann im Auge zu behalten, folgte ihm Poleyn.
    Astrea setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch und lauschte dem Stimmengewirr, während Nicks Verwünschungen immer weiter in der Ferne verklangen.
    Erst als wieder Stille herrschte, blickte sie zu ihrem noch verbliebenen Besucher auf. »Stellen Sie eine neue Wache vor dem Büro auf, Chefinspektor«, ordnete sie an, bemüht, das leichte Zittern in ihrer Stimme zu verbergen.
    Der Chefinspektor nickte, wirkte jedoch nach wie vor beunruhigt. »Ich mache mir Sorgen um Poleyn, meine Lady«, sagte Greaves sanft. »Mir scheint, sie kann genauso brutal sein wie ihr Gefangener.«
    »Wir sind die Vertreter des Gesetzes, Chefinspektor«, blaffte Astrea. »Und das Gesetz muss durchgesetzt werden.«
    Greaves dachte einen Moment darüber nach. »Ich bin schon mein ganzes Leben lang Eintreiber, meine Lady. Unter Ihrem Gatten Lord Ruthven, unter Ihnen, unter vielen unterschiedlichen Anführern. Ich habe der Aufrechterhaltung des Gesetzes mein ganzes Leben gewidmet. Das Gesetz ist dazu da, den Frieden zu bewahren und unseren Leuten zu ermöglichen, ihr Leben angstfrei zu leben. Andernfalls gibt es keinen Unterschied zur Herrschaft des Mobs.«
    Lady Astrea hob gebieterisch den Kopf. »Ich habe Ihre Anmerkungen zur Kenntnis genommen, Greaves. Sie können jetzt gehen.«
    Er verneigte sich und machte Anstalten aufzubrechen. Dann aber hielt er inne. »Das war noch nicht das Ende, meine Lady«, sagte er leise. »Morgen werden die Kämpfe zehn Mal schlimmer sein. Unsere Leute werden sterben. Viele von ihnen, auf beiden Seiten.«
    »Aber wir werden die

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