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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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Poleyn?«, fragte Greaves, während er den Raum betrat. »Die Frau war doch offenkundig gefesselt.«
    »Man darf dem Anschein nicht immer trauen«, sagte Poleyn und packte Ben am Arm. »Manche Leute verkleiden sich als Eintreiber und versuchen so den Aufstand anzuheizen. Nicht wahr, Benedicta? Haben Sie geglaubt, ich würde Sie nach der Beschreibung meines Captains nicht erkennen? Halten Sie alle meine Eintreiber für Idioten?«
    In ihrer Verzweiflung schaute Ben zu Owain. Warum saß er nur da und blickte zu Elespeth hinunter, die vor seinen Füßen zusammengebrochen war? Warum half er ihr nicht?
    »Einen Moment, Poleyn«, schaltete sich Greaves ein. »Dieser Schrei, der uns alarmiert hat, stammte nicht von Miss Benedicta. Ich bin mir sicher, dass es der Schrei einer älteren Frau war.«
    »Wahrscheinlich der Schrei dieser Hexe aus Giseth«, brummte Poleyn. »Und bei allem Respekt, wir können das auch später noch untersuchen, Sir. Im Moment haben wir es mit aufständischem Gesindel zu tun …«
    Greaves hörte ihr gar nicht zu. Er hatte sich hingekniet und Elespeths Kopf angehoben. Die ältere Frau weinte leise vor sich hin.
    »Was ist das?«, fragte Greaves, während er das Stück Stoff untersuchte, das nun lose um ihren Hals hing. »Warum hat man diese Gefangene geknebelt? Das entspricht nicht der vorgeschriebenen Vorgehensweise. Und wenn wir schon davon sprechen, warum sind ihre Fesseln so stramm? Der junge Mann hingegen ist überhaupt nicht gefesselt …«
    Ben wollte etwas sagen, doch Poleyn drückte ihr die behandschuhte Hand auf den Mund.
    »Sir!«, beharrte Poleyn, während sie Ben halb aus dem Raum zerrte. »Wir haben dafür jetzt keine Zeit. Wir werden bei der Verteidigung des Direktoriums gebraucht …«
    »Was geht hier vor, Poleyn? Warum stellt diese Frau eine solche Bedrohung dar?«, hakte Greaves nach.
    »Sie wurde dem Prozess unterzogen«, sagte Owain.
    Langsam schaute Greaves auf. Schweigen breitete sich in dem Raum aus.
    »Prozess?«, fragte Greaves schließlich.
    »Das sind bloß die Worte eines Verrückten …«, begann Poleyn, doch Greaves achtete nicht weiter auf sie.
    »Um Gefühle zu beseitigen«, fuhr Owain so teilnahmslos wie zuvor fort. »Der Direktor sagte, ihr Prozess sei noch nicht abgeschlossen, und man solle sie mit ihrer Wut und ihrer Trauer allein lassen. Anders als bei mir. Ich habe keine mehr.«
    Ben merkte, dass ihr die Kinnlade herunterklappte. Es war gar nicht die Enthüllung als solche; sie ergab auf grauenvolle Weise Sinn. Nein, es war der lebendige Beweis, die Art und Weise, wie Owain ohne Veränderung im Tonfall davon sprach, dass der Direktor ihm das Gehirn ausgehöhlt hatte. Er klang dabei beinahe gelangweilt.
    Chefinspektor Greaves stand auf. »Wussten Sie davon, Poleyn?«, fragte er leise.
    Poleyn schleifte Ben nach wie vor zur Tür und hatte den Kopf gesenkt. Ben stellte sich auf die Fersen. So leicht wollte sie es Poleyn nicht machen.
    »Bei allem Respekt, Sir«, sagte sie, »wir müssen unsere Leute am Hauptportal warnen. Wenn wir einen Laufburschen schicken, können wir unsere Streitkräfte von den Barrikaden herbeirufen und die Rebellen in die Zange nehmen …«
    Sie verstummte. Das Gesicht des Chefinspektors war unbewegt. Er hielt seinen Blick immer noch auf Owain gerichtet.
    »Verzeihen Sie mir, aber diese Frage ist wichtig«, sagte er mit stockender Stimme. »Wussten Sie hiervon?«
    Ben spürte, wie sich Poleyns Griff um ihren Arm ein wenig lockerte. Der Inspektorin war wohl unbehaglich zumute.
    »Der Direktor ordnete an, dass einige von uns die gisethischen Spione hierherbringen, nachdem sie dem Prozess unterzogen wurden«, gab sie zu. Ihre Stimme klang dabei steif und förmlich. »Es hat mir kein Vergnügen bereitet, Sir. Es bereitet mir häufig kein Vergnügen, die Befehle, die ich bekomme, auszuführen. Aber ich diene Agora, ich diene dem Direktor, und im Moment ist all das bedroht. Und ehrlich gesagt, Greaves, ist es Zeit, dass Sie beweisen, wem gegenüber Sie loyal sind.«
    Nun blickte Greaves Poleyn geradezu mitleidig an. »Ich verstehe. Danke, Inspektorin. Jetzt wird mir alles sehr viel klarer.«
    Schneller, als Ben es bei einem Mann seines Alters je gesehen hatte, rammte er Poleyn, und sie flog gegen die Wand. Poleyn hob die Arme, um sich zu wehren, und ließ Benedicta frei. Greaves packte sie an den Handgelenken und versuchte sie zu Boden zu werfen.
    »Verräter!«, schrie Poleyn und versetzte ihm einen Schlag in die Magengrube, der ihm den Atem

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