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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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sein, und das war ihr nur recht, denn sie bekam kaum eine Melodie zusammen. Stattdessen lernte sie, sich auf ihren Geist zu konzentrieren, um den endlosen Strom des Flüsterns zu lenken. Zwei Bilder hatte sie bereits vor ihrem inneren Auge. Zum einen das Mitternachts-Statut, ganz und vollständig, all seine Geheimnisse preisgebend. Zum anderen ihre Freunde Laud, Ben, Theo und Mark.
    Ich werde es nicht sagen, kann das Geheimnis nicht verraten, noch nicht … WARUM HÖRT ES NICHT AUF … Warum hört sie nicht auf damit, auf dieser Violine herumzuspielen? Sie ist nicht gut … Wo sind sie? Wo sind sie? Es sollte eine Nachricht geben … Was ist da draußen geschehen? … Was … was tun wir jetzt? …
    Manchmal durchsuchte sie das Geflüster nach anderen Dingen, nach alten, vergessenen Geheimnissen. Die ältesten Gedanken hallten noch immer durch die Kammern, lange nachdem ihre Besitzer gestorben waren. Lily konnte inzwischen beurteilen, ob sie uralt waren – die Stimmen waren dann leise und kratzig, auch wenn sie nicht zu unterscheiden vermochte, ob sie Männern oder Frauen gehörten. Doch die Fetzen, die sie auffing, faszinierten sie.
    Diese Kristalle; sie haben ganz außergewöhnliche Eigenschaften … Das ist eine lächerliche Idee! Absurd … aber stell dir vor, es würde funktionieren … Unsere Gesellschaft, unser Lebenswerk, hätte sich als rechtens erwiesen … Denk daran, diese Steine genau richtig zu legen … Das wird niemals funktionieren, irgendwer wird es bestimmt verraten … Jemand hat es verraten, sie sind entfernt worden. Verschwunden … Die anderen halten die Treue, die ganze Stadt glaubt an unsere Sache …
    Manchmal suchte sie nach ihren Freunden, versuchte ihre vertrauten Stimmen aus diesem Gedankenwirrwarr herauszuhören. Aber immer wenn sie davon überzeugt war, Mark, Laud, Ben oder Theo zu hören, erhaschte sie lediglich winzige, unverständliche Gedankenfetzen.
    Sie macht sich nützlich, ich hätte gedacht, dass sie nach einem Leben im Büro nie an einer solchen Arbeit Gefallen fände … Habe ich eine Ahnung! … Ob sie zurückkommen will? Vielleicht hat sie ihren Vater letzten Endes doch gefunden. Was, wenn sie mich, nein uns, nicht mehr braucht … Es gibt noch immer Vorbereitungen zu treffen, warum sagt Mr Verso nichts Genaues? … Sie hält sich immer noch bei Crede auf? Warum? Ich unternehme jetzt doch etwas, wieso ist ihr das nicht klar?
    Lily tauchte völlig ein; sie lauschte allem, so als fülle die ganze Welt ihren Kopf aus. Gedankenblitze aus den Ländern oben durchschossen sie, jeder einzelne verblassend, sobald sie ihn hörte, bis ihr nur noch ein Gefühl blieb – ein Wahrheitsfunke. Dunkle Gedanken, seltsame Gedanken. Gedanken, die sie selbst nicht in tausend Jahren gehegt hätte. Gedanken, die sie beschämten oder zum Lachen brachten, zum Weinen oder zum Schaudern.
    Ich werde auf sie warten, sie werden keinen Verdacht hegen … Grün ist so elegant, so intelligent … Das wird ein Abend, den er nie vergessen wird … Schau sie dir an, lebt in wilder Ehe mit einem Rebellen. Sie war nichts wert, keiner von ihnen ist etwas wert … Mathilde hat wieder nach ihm gefragt, fünfundzwanzig Sommer, und sie verhält sich wie ein kleines Kind. Aber ich spüre es trotzdem. Oh, ihr Sterne, ich spüre es … Rundherum und ringsherum geht es. Engelchen flieg! Sie werden keinen Verdacht hegen … kein bisschen …
    Urplötzlich vernahm sie einen ihrer eigenen Gedanken, der in ihr widerhallte, und dann war das Hohelied von Geflüster über sie erfüllt. Von Leuten, die ihren Namen riefen. Alle warteten sie auf ihre Meinung, ihre Überzeugungen – darauf, dass Lily herbeikam, um ihnen den Tag zu retten.
    Ich muss weitersuchen … nach Antworten suchen. Sie hat immer nach Antworten gesucht … Lily würde die Antworten kennen … Lily IST die Antwort, das hat er gesagt; ich wünschte, ich hätte sie gekannt … Lily wird es bald erfahren … Lily wird es nie erfahren … Lily und Mark, Lily und Mark, so perfekt und doch so falsch …
    So ging es weiter und weiter, sich spiralförmig zu einem Chor formend. Bis sie ihr Gehirn, ihren Körper und ihre Seele erfüllten und die ganze Welt nur noch ihren Namen flüsterte.
    Lily ist der Schlüssel … Lily, wo bist du? … Lily, vergib mir … Lily ist unsere Inspiration … Lily ist im Innersten von allem … Lily … Lily … Lily …
    »Lily!«
    Lilys Finger glitten herab, und der plötzliche stechende Schmerz, als sie ihre Finger von dem sich

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