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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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die vor Zorn wilden Augen, ehe ein Soldat der Wilden feuerte und ihm eine Kugel in die Brust schoss.
    Der Wächter hob mich hoch und warf mich in den Wagen. Tom wollte ihn mit der Faust ausschalten, schlug aber vorbei. Ehe Tom eines seiner Messer ziehen konnte, schrie ich: »Tom, wenn du zulässt, dass er dich tötet, werde ich dir nie vergeben, und George auch nicht!« Die Dummheit dessen, was Leute in Panik sagen, kennt offenbar keine Grenzen.
    Oder das, worauf sie hören. Tom hielt inne, blickte das Gewehr des Wilden an, blickte mich an und sprang in den Wagen. Der Wächter warf die Tür zu und sperrte sie ab. Tom stürmte zum Fenster. Daran, dass er nichts sagte, sondern nur beobachtete, während sein Gesicht sich vor Hass und Trauer verzog, ließ sich ermessen, was er sah.
    Es war alles in weniger als fünf Minuten vorbei.
    In die Stille hinein fragte ich sanft: »Wie viele Tote?«
    »Ich kann es nicht sagen.«
    Todesopfer gab es nur aufseiten der Bauern– all die braven, dummen, treuen Männer, die den armseligen Versuch gemacht hatten, ihre sechsjährige Herrscherin zu retten.
    Tom stieß hervor: »Warum sie? Warum kein richtiger Angriff? Wo ist Lord Wie-auch-Immer, der herrschen soll, bis die Prinzessin erwachsen ist? Wo ist die Armee, die das Königinnenreich einmal hatte?«
    Lord Robert Hopewell war vielleicht noch im Kerker oder womöglich tot. Die Armee war auch tot, und das durch meine Taten. Gerüchte über das, was vor zweieinhalb Jahren passiert war, mussten doch auch bis in das abgelegene Almsburg gedrungen sein. Hatte Tom den Gerüchten keinen Glauben geschenkt, oder hatte er sie einfach nicht wahrgenommen, weil er so mit Mädchen und Bier und den Kämpfen gegen seinen geizigen Vater beschäftigt gewesen war? Ich durfte ihn nicht fragen. Er wusste nicht, wer ich war.
    Jee, der es wusste, starrte mich aus einer Ecke heraus an.
    Das war das Ende der Spaziergänge hinter dem Wagen für Tom und mich. Wir wurden nun nur noch zum Frühstück und Abendessen hinausgelassen. Tom murmelte und ging auf und ab und fluchte, füllte den kleinen Raum mit seiner großen Unzufriedenheit aus, bis ich es kaum mehr ertragen konnte, ihn anzuschauen. Jee schlief vierzehn Stunden am Tag, wie ein kleines Tier, das sich auf den Winterschlaf vorbereitet. Dies ging weitere vierzehn Tage so, und jeden Tag mussten die Pferde sich härter abrackern, während wir in die Berge hinauffuhren, bis schließlich die Straße zu nicht mehr als einem kleinen Weg wurde und die Wagen nicht mehr weiterfahren konnten.
    »Ich glaube, wir haben das Königinnenreich verlassen«, sagte ich zu Tom.
    »Was also wird jetzt passieren?«
    »Ich weiß es nicht. Aber ich denke, wir werden über die Berge marschieren müssen.«
    »Marschieren!« Seine Augen strahlten, als hätte man ihm gerade eine Schatzkiste versprochen. Er klopfte an die Tür des Wagens. Sie öffnete sich sogleich, aber nicht für ihn.
    »Klef, Antek«, sagte der Wächter, der kaum je mit mir sprach, nicht einmal, um mich mit dem rätselhaften Titel Antek anzureden. Bis jetzt. »Ka mit. Bay Tarek.«
    »Er will, dass ich mit ihm gehe«, sagte ich zu Tom. »Aber ohne dich.«
    »Ich gehe auch. Ich bin dein… nel. Dein Diener.«
    »Ka mit! Ka mit!«, sagte der Wächter, der sein Gewehr hob.
    »Ärgere ihn nicht«, fuhr ich Tom an. »Du bringst dich nur in Schwierigkeiten.«
    Jee sagte: »Geh nicht, Peter.«
    »Hör auf den Jungen«, sagte Tom.
    »Seid beide still und bleibt ruhig.« Ich stieg die einzelne Stufe hinab.
    Tom rief: »Aber wohin bringt er dich?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Ich log. Bay Tarek, hatte der Wächter gesagt. Zu Tarek. Dem Junghäuptling.

36
    Der Treck hatte auf einer weitläufigen Hochlandwiese angehalten, die dicht mit wilden Bergblumen bestanden war. Zerklüftete, schneebedeckte Gipfel ragten im Norden und Süden auf, aber ich konnte unmittelbar vor uns im Westen einen hohen Pass über die Berge erkennen. Jenseits des Passes schien die untergehende Sonne rot wie ein blutiges Leuchtfeuer. Die Luft war stechend kalt.
    Überall auf der Wiese brannten Kochfeuer und Fackeln. Die sechs Wohnwagen mit ihren erschöpften Pferden kauerten an einem Ende. Die Tiere waren inzwischen wochenlang bergauf gelaufen. Diener eilten zwischen den bemalten Wagen hin und her. Auf der übrigen Wiese lagerte die Armee der Wilden. Jeder Kader aus zwölf Wilden saß mit seinem Hauptmann an einem eigenen Feuer, wo sie aßen, sangen und sich unterhielten. Selbst für einen Fremden klangen

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