Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
würde ich in den geistlosen Dämmerzustand der übrigen Toten abgleiten? Oder– ein furchtbarer Gedanke– würde ich so bleiben, wie ich jetzt war, der einzige Mensch im Land der Toten, der wach war und sich bewegte? Für immer? Ein Schauder lief über meinen ganzen Körper, und meine Glieder zogen sich zusammen, die bereits von der Gefangenschaft auf dem Stuhl steif waren.
Langsam stand ich auf und blickte mich um. Seit ich vor vierzehn Tagen hier gewesen war, war etwas mit dem Land der Toten geschehen.
Nicht die Stürme, Böen und Erdbeben, wie ich sie hier vor zwei Jahren verursacht hatte. Nein, da war etwas anderes. Der Himmel und die Landschaft lagen ruhig wie immer da. Der Mühlenbach floss ohne die Mühle und deren Graben ruhig dahin. Die Bäume unter dem gleichförmigen Himmel raschelten nicht mit den Blättern. Aber ein kleines Stück entfernt, dicht über dem Boden, schwebte eine Schwade aus reglosem grauem Nebel. Beinahe knickten mir die Beine wieder ein. Ich hatte so etwas schon einmal gesehen. Aber vielleicht hatte ich unrecht. Vorsichtig näherte ich mich der Wolke. Im Land der Lebenden war dieses Tal fruchtbar und schön. Schon seit langer Zeit lebten hier Menschen, was bedeutete, dass sie dort vor langer Zeit gestorben waren. Viele Tote saßen wie Tüpfelchen in der Landschaft. Einige, wie der Edelmann in Wams und Kniehosen, waren allein, um ernst auf den Boden oder in den Himmel oder auf eine Blume oder einen Stein zu starren. Aber seit ich zum ersten Mal im Alter von sechs Jahren den Pfad der Seelen betreten hatte, hatten viele der Toten, die ich gesehen hatte, in Kreisen zusammengesessen. Und um einen dieser Kreise hatte sich der Nebel zusammengeballt. Drei Frauen und zwei Männer saßen einander gegenüber, ohne sich zu berühren, und starrten starr auf den Mittelpunkt des Kreises, in dem sich nichts außer weiterem perlgrauem Nebel befand. Der gleiche Nebel hüllte jede der reglosen Gestalten ein, aber so leicht, dass ich keine Mühe hatte, ihre Gesichter oder Kleider zu erkennen. Sie waren alle junge Männer und Frauen, und ihre Kleidung ließ erkennen, dass sie in verschiedenen Zeitaltern gestorben waren. Ihr Kreis wirkte wie einer von jenen, die mir schon seit mehr als einem Jahrzehnt aufgefallen waren, aber der Nebel war neu.
Ich ging näher.
Vor zwei Jahren hatte ich den Pfad der Seelen betreten, während ich im Seelenrankenmoor gewesen war, und hatte festgestellt, dass mich ein grauer Nebel begleitete: eine Schar von Männern und Frauen aus dem Seelenrankenmoor, unsichtbar, aber irgendwie anwesend. Ich hatte sie gespürt, wie sie sich dicht an mich drängten, bis ich geschrien hatte und fortgerannt war. Nach ein paar Schritten hatte ich den Nebel hinter mir gelassen, aber der Nebel selbst war geblieben. Die Leute aus dem Seelenrankenmoor konnten ihre richtigen Körper hier nicht verfestigen, wie ich es konnte, konnten sich nicht durch die Landschaft bewegen, konnten nicht zu den älteren Toten sprechen. Sie waren keine Hisafs. Aber auf irgendeine seltsame Weise hatten sie den Pfad der Seelen mit mir betreten, und ihre schattenhafte Anwesenheit hatte die Gestalt eines dichten dunkelgrauen Nebels angenommen.
Dieser Nebel hier war weder dicht noch dunkel, sondern lediglich ein dünnes Grau. Und wir waren weit weg vom Seelenrankenmoor. Vielleicht irrte ich mich, und es war lediglich Nebel. Aber im Land der Toten gab es kein Wetter, nicht bevor ich damit herumgepfuscht hatte, und nicht danach. Mehr als zwei Jahre lang hatte ich den Pfad der Seelen überhaupt nicht betreten, bis auf den kurzen Ausflug bei Zwiekreuzen. Was immer dieser Nebel war, er ging nicht auf mich zurück.
Aber was war es?
Ich streckte die Hand aus und hielt sie in den Nebel, legte einem der Toten die Handfläche auf den Kopf, einem Mann, der grobe Kleidung trug wie ein Knecht. Er regte sich natürlich nicht. Meine Hand nahm nichts wahr, nicht einmal die Feuchtigkeit von natürlichem Nebel. Ich ging näher, kniete mich hin, rückte noch näher, bis ich mich an den toten Knecht drückte, und auch mein Kopf, genauso wie seiner, vom Nebel umschlossen wurde.
Spürte mein Geist eine schwache Wahrnehmung? Ich war nicht sicher. Die leichte Regung in meinem Verstand hätte genauso gut am Hämmern meines Herzens und dem hektischen Luftholen meiner Lunge liegen können. Der Knecht atmete natürlich nicht, und sein Herz schlug auch nicht. Sein Körper war weder warm noch kalt. Er war einfach nur, und ob in seinem Gehirn
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