Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
stiegen wir höher in die Unbeanspruchten Lande hinauf, gefolgt von dem neuen Hund. Tom nannte ihn Wolle. Ich sagte: »Ich dachte, du hast gesagt, dass du die Schafe hasst, die dein Vater züchtet.«
»Ja. Dumme Biester.«
»Weshalb nennst du ihn dann Wolle?«
Tom zuckte die Schultern. »Warum nicht? Er ist ein guter, alter Hund, nicht wahr, Junge? Guter Junge! Komm, kämpfen wir!« Er kugelte über den Boden, der Hund sprang begeistert auf ihn, und sie kämpften ein paar Minuten zum Spaß, woraufhin sich beide schlammbeschmiert und zufrieden erhoben. Ich sah zu und fühlte mich wie ein nachgiebiger Großvater.
Ich hatte Schatten gemocht, aber dieser Hund machte mich unruhig. Nicht seine Art, die genauso anhänglich und hingebungsvoll wie die von Schatten war– das gleiche Schwanzwedeln, die gleiche leckende Zunge, der gleiche Willen, auf die Jagd zu gehen und Tom die Beute zum Kochen zu bringen. Wolle hatte kein Halsband– aber wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass mich zwei ansonsten identische Hunde innerhalb eines Monats adoptierten? Es hatte aber keinen Sinn, Tom das zu erklären.
»Tom, denk nach. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass uns zwei identische Hunde innerhalb eines Monats adoptieren?«
»Keine Ahnung. Wie groß?«
»Ich weiß es auch nicht, aber…«
»Warum fragst du mich dann? Verflucht, ich wünschte, wir hätten ein Paar Würfel! Kannst du Sic Bo spielen?«
»Nein.« Noch mehr Lügen. Sic Bo war am Hofe sehr beliebt. Ich hatte es einmal mit Cecilia um ein Pfand gespielt, das ich zu diesem Zeitpunkt nicht durchschaut hatte.
»Ich könnte es dir beibringen. Aber wir haben keine Würfel. Ich weiß– ich werde welche schnitzen!«
In den letzten paar Tagen waren wir, da das Königinnenreich weit hinter uns lag, wieder dazu übergegangen, bei Tag zu reisen und bei Nacht zu schlafen. An diesem Abend saß Tom am Lagerfeuer und schnitzte aus einem Aststück fleißig zwei verbeulte Würfel. Auf jede Fläche bohrte er Einbuchtungen.
»Jetzt schau, Peter, du wirfst erst einen Würfel, und wenn oben eine Sechs liegt…«
»Tom, ich will nicht Sic Bo spielen.«
»Oh, aber es ist doch ein wunderbarer Spaß! Lass es mich dir zeigen!«
»Nein.« Ich ließ ihn selten abblitzen, aber ich konnte mich nicht überwinden, mit ihm zu würfeln. Alles, was ich gesehen hätte, wäre Cecilia in ihrem grünen Kleid gewesen, ihr wunderbares Haar offen über den Schultern, ihre grünen Augen leuchtend vor fiebriger Erregung, die an Hysterie grenzte. »Roger! Ich werde mit dir wetten! Um eine Silbermünze, auf der das Bild Ihrer Gnaden eingeprägt ist! Komm!«
»Ich hätte nie gedacht, dass du so ein Spielverderber bist«, sagte Tom missgelaunt.
»Ich werde morgen Abend mit dir spielen«, sagte ich.
»Oh, na gut.« Er rollte sich auf den Bauch und schlief sofort ein.
Aber morgen Abend würde ich fort sein.
Von jetzt an wusste ich, wo wir waren. Unser Pfad war auf einen anderen getroffen, der Landmarken besaß, die ich wiedererkannte. Ich war hier schon einmal entlanggekommen, mehr als einmal. Das Seelenrankenmoor lag eine anstrengende Tagesreise weiter südlich. Tom wusste das offensichtlich nicht. Obwohl er ein famoser Spurenleser war, war er nie weit von seinem Dorf Almsburg fort gewesen, und die Geografie der Welt war ihm unbekannt. Ich wagte es nicht, das Seelenrankenmoor selbst zu betreten, aber an der Grenze konnte ich körperlich in den Unbeanspruchten Landen bleiben und auf dem Pfad der Seelen ins Moor eindringen. Auf diese Weise konnte ich sicher nach meiner Mutter suchen. Sicherer zumindest.
Aber ich konnte das nicht tun, wenn ich gleichzeitig weiterhin von Tom begleitet wurde. Was würde er tun, wenn ich zu lang in meinem abwesenden Zustand blieb? Mich in irgendeine grobe Hütte schleifen, nach einem Heiler rufen? Zu dem Entschluss kommen, dass ich tot war, und mich begraben? Versuchen, mich wiederzubeleben, indem er mir so viel Wasser über den Kopf schüttete, dass ich ertrank?
Im allerschlimmsten Fall könnte er meine Abwesenheit als genau das erkennen, was sie war. Die Landbevölkerung war für gewöhnlich eher willens, an die alten Wege zu glauben, an die alten Mächte. Niemand am Hof, bis auf Königin Caroline, hatte geglaubt, dass ich den Pfad der Seelen betreten konnte. Aber das Landvolk, das Hartah mit meiner Hilfe auf den Sommerfesten betrogen hatte, wusste allzu oft, dass die Gabe echt war. Jedoch glaubten auch viele von ihnen, dass es sich dabei um Hexenwerk handelte,
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