Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
Kreisen. Der dichte Nebel bewegte sich mit ihnen, dunkle Schwaden in dem leichten Nebel, der überall hing. Langsam, ganz langsam, kamen sie näher, dann hielten sie auf der anderen Seite des Kreises mit den einundzwanzig Toten an.
»Was… was seid ihr?«, sagte ich bebend, und mir fiel auf, dass ich im Land der Lebenden etwas Ähnliches zu Wolle gesagt hatte. Aber Wolle war ein Hund– vertraut, fest, bekannt, zumindest der Form nach. Ich konnte diese Gestalten im Nebel nicht erkennen. Ich wusste nicht, ob sie fest waren. Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie sein mochten.
Keiner der drei antwortete.
Wir standen dort, auf gegenüberliegenden Seiten eines bewegungslosen Kreises aus Toten, in der grauen Stille. Ich wusste nicht, wie lange wir so stehen blieben– ich in ängstlicher Erwartung dessen, was als Nächstes geschehen würde, und sie warteten auf… was? Es schien sehr lange zu dauern. Vielleicht tat es das auch, vielleicht nicht.
Eine Frauenstimme hinter mir sagte: »Roger.«
Ich schrie auf und wirbelte herum. Inzwischen hatte sich der allgegenwärtige graue Nebel verdichtet, obwohl er dabei nicht dunkler geworden war. Wie eine Mauer stand er hinter mir und wirbelte, als würde ihn eine leichte Brise streifen. Durch diesen wirbelnden, bleichen Nebel schien es, als würde ich Gestalten erkennen, nicht menschliche Gestalten, die sich regten, und dazwischen das Glitzern einer Krone.
Die Stimme war die Stimme aus meinem Traum.
»Roger«, sagte sie wieder und dann: »Tot seit elf Jahren.« Und sie lachte.
Es war ein Lachen, bei dem mir die Knochen schauderten, mein Geist zerschmettert wurde. Als sich die Wand aus wirbelndem Nebel auf mich zubewegte, biss ich mir auf die Zunge und kehrte vom Pfad der Seelen zurück.
Dunkelheit …
Kälte …
Erstickender Dreck in meinem Mund …
Würmer in meinen Augen …
Erde, die meine fleischlosen Arme und Beine umschloss …
Schrecklich, aber nicht so schrecklich wie das, was ich hinter mir gelassen hatte. Zum zweiten Mal in meinem Leben war mir die Reise durch das kalte und madenverseuchte Grab tatsächlich willkommen. Dann lag ich wieder im Land der Lebenden, versteckt im Dickicht in den Unbeanspruchten Landen. Wolle war fort.
Ich hatte am frühen Abend den Pfad der Seelen betreten. Nun war der Himmel blassgrau. Morgendämmerung? Ich kroch aus dem Dickicht, um zu sehen, dass der westliche Himmel von Rot durchzogen war. Sonnenuntergang. Im Land der Toten verging die Zeit anders, und ich war beinahe vierundzwanzig Stunden fort gewesen. Mein Magen knurrte vor Hunger. Wo war Wolle?
Der Hund wartete außerhalb des Dickichts auf mich, und neben ihm wartete Tom Jenkins, das Gesicht starr vor Zorn.
15
»Tom«, sagte ich, ohne der Situation damit gerecht zu werden. Er hätte unterwegs sein sollen, um sich Georges imaginärer Rebellion anzuschließen. Ich hätte Zeit haben sollen, über das nachzudenken, was ich im Land der Toten gesehen hatte. Nichts war, wie ich es geplant hatte. »Tom…«
»Roger«, sagte er, und mein knurrender Bauch ballte sich zusammen wie eine Faust.
»Das ist dein Name, oder?«, fragte er. »Nicht ›Peter Forest‹. Roger irgendwie, und du hast mich die ganze Zeit belogen.«
Was konnte ich sagen? Er hatte recht. Ich hatte ihn angelogen, und aller Wahrscheinlichkeit nach musste ich ihn wieder anlügen. Meine Lügen mochten seinem eigenen Schutz gedient haben, aber es war klar, dass Tom nicht daran interessiert war, beschützt zu werden. Er hatte keine Ahnung von den Mächten, vor denen ich ihn hatte schützen wollen. Was diese Mächte anging, hatte ich allerdings genauso wenig Ahnung. »Tot seit elf Jahren…«
»Ich bin dem Pfad so schnell gefolgt, wie ich konnte«, fuhr Tom fort, »und gestern Nacht bin ich zu einem Bauernhof gekommen. Es waren nur zwei Frauen und eine Schar kleiner Kinder da; die Männer waren zu etwas aufgebrochen, das die ältere Frau eine ›lange Jagd‹ nannte. Es war ein ärmliches, dem Land nur mühsam abgerungenes Fleckchen Erde, aber sie haben mir etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen im Ziegenstall gegeben.«
Nun konnte ich den Ziegengeruch an ihm wahrnehmen. Wolle saß aufrecht da und blickte zwischen uns hin und her.
»Aber ehe ich hinaus zum Ziegenstall gegangen bin, habe ich mich zu den Frauen und Kindern an ihren Herd gesetzt. Ich habe ihnen Holz geschlagen und Wasser geholt, und sie waren freundlich zu mir. Außerdem denke ich, dass sie um jede Gesellschaft froh waren.«
Natürlich waren
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