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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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sagst mir… du sagst mir, dass meine Mutter kein Grab hat.«
    Ich hätte ewig weitermachen können. Und auf einmal konnte ich sie nicht mehr berühren. Ich stand auf. Fia kam unsicher auf die Beine. Wir standen uns dort in dieser kleinen Senke voller Wildblumen gegenüber, das Sonnenlicht drang durch die Blätter der Bäume, und Vögel sangen in der Frische nach dem Regen.
    Ich sagte: »Du kommst aus dem Land der Toten.«
    »Ja«, antwortete Fia mit Nachdruck, »und du hast mir dein Versprechen gegeben. Vergiss das nicht. Dein Versprechen bei der Seele deiner Mutter! Du wirst nie wieder den Pfad der Seelen betreten.«
    »Du hast mir das Versprechen mit unlauteren Mitteln abgenommen. Unter Einsatz von Drogen und deines Körpers!«
    »Trotzdem hast du das Versprechen gegeben.« Ihr Gesicht verzerrte sich plötzlich. Sie wiederholte leise: »Du hast das Versprechen gegeben.«
    »Wie…? Wer…?«
    »Du weißt, wie– es gibt nur einen Weg. Ein Hisaf hat mich geholt.«
    »Aber weshalb?«, schrie ich. »Du hast deine Hoffnung auf die Ewigkeit verspielt. Du wirst…«
    »Ja«, sagte sie. »Ich weiß. Ich habe meine Hoffnung auf die Ewigkeit verspielt. Genauso wie Cecilia, genauso wie die Soldaten der Blauen, die du schon zuvor zurückgeholt hast. Alle für immer fort. Also erinnere dich an dein Versprechen!«
    Ich packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Weshalb? Weshalb?«
    »Sie sind beinahe bereit!«
    »Im Seelenrankenmoor? Bereit wofür?«
    Aber sie sah mich nur an, mit einem Blick von solch tiefer Verzweiflung, dass ich sie an mich drückte. Und so geschah es in meinen Armen. Vierzehn Tage waren vergangen, die gleichen vierzehn Tage, die Kauz gehabt hatte, die Cecilia gehabt hatte, die die Blauen gehabt hatten. Fia schmolz. Auf einmal verformten sich ihr Gesicht und ihr Körper, sie verfaulten und flossen zu grotesken Formen zusammen, ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Augenblicke später war sie fort. Ihr Kleid und ihre Schürze und ihre Stiefel lagen auf einem Häufchen inmitten der Blumen.
    Ich saß den ganzen Vormittag daneben. Ich konnte mich nicht bewegen. Fia war weder im Land der Lebenden noch im Land der Toten; sie war nirgends. Ihre Seele war ausgelöscht, hatte ihre Hoffnung auf die Ewigkeit aufgegeben, um mir mein Versprechen abzuringen, nie wieder den Pfad der Seelen zu betreten. Die Suche nach meiner Mutter– meine große Aufgabe– aufzugeben. Das war der Grund, weshalb sie sich selbst ausgelöscht hatte– um mein Versprechen zu bekommen.
    Nein. Das klang falsch. Fia hatte darauf bestanden, nach Norden zu reisen, zum Königinnenreich, um mehr Abstand zwischen sich und das Seelenrankenmoor zu bringen. Das konnte ich glauben. Aber ich glaubte nicht, dass sie alles aufgegeben hatte, sowohl hier als auch im Land der Toten, nur um mich davon abzuhalten, den Pfad der Seelen zu betreten. Es war mehr an Fia, das ich nicht verstand, viel mehr, genauso wie mehr an dem Nebel im Seelenrankenmoor und den Gestalten war, die ich in diesem Nebel erblickt hatte. »Sie sind beinahe bereit.«
    Wofür?
    Eine große Müdigkeit überkam mich. Ich war den Großteil der Nacht über wach gewesen. Fia war fort. Mein Körper hatte die Drogen, die Liebesnacht und die Verfolgung hinter sich. Sie war fort. Ich würde nun niemals mit meiner toten Mutter sprechen, wenn ich nicht den Eid brechen wollte, den ich auf ihr Grab geschworen hatte. Fia war fort. Ich lag auf dem Boden und barg mein Gesicht in ihrem Kleid. Es roch noch nach ihr. Ich weinte.
    Dann schlief ich ein.
    Ich wachte beim Geräusch von Gewehren nicht weit entfernt auf.
    Vorsichtig rollte ich Fias Kleider zu einem festen Knäuel zusammen, und so fand ich die Miniatur. Sie war in eine Geheimtasche ihres Kleides eingenäht gewesen. Ich legte sie auf die Handfläche und drehte sie ins Licht, um das kleine Bildchen erkennen zu können. Glänzende Wellen von schwarzem Haar, grüne Augen, ein trauriges, schiefes Lächeln. Die Miniatur zeigte eindeutig Fia, und doch erinnerte sie mich so sehr an Cecilia. Obwohl die Züge der beiden Mädchen sich, von den grünen Augen abgesehen, nicht sehr ähnelten. Die Ähnlichkeit war schattenhafter, nicht genau festzulegen, aber vorhanden.
    Ich starrte die Miniatur an, bis ich beinahe blind wurde. Ich hatte den Verdacht, dass sowohl Fia als auch Cecilia auf irgendeine Art mit dem Schattennetz der Frauen verbunden waren, die die Seelenkünste ausübten oder zumindest davon wussten. Cecilia, die zu naiv gewesen war,

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