Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
Vom Netzwerk:
also Roger, der Rächer.« Sie lächelte dünn, als würde sie wissen, dass man ihre Worte auf zwei Weisen auffassen konnte. Indem ich die Armee der Blauen aus dem Land der Toten zurückgebracht hatte, hatte ich Soleks Macht über den Palast gebrochen und das Königinnenreich gerächt. Aber jene Armee der Blauen hatte auch die Grünen getötet, die mit Solek verbündet gewesen waren, und anschließend hatten sich die Blauen lediglich als »magische Illusionen« erwiesen und waren verschwunden. Jeder im Palast war mit Soldaten in der einen oder der anderen Armee verwandt gewesen. Also hatte ich sie alle getötet und mich dadurch an Königin Caroline gerächt, während ich Maggie befreit hatte. Man konnte die Ereignisse auf beide Arten sehen, aber die meisten Leute können in Gedanken nicht zwei Blickwinkel auf einmal einnehmen. Lady Margaret war eine der wenigen, die dazu fähig waren. Ich erkannte in ihren Augen, dass ich ein Retter, ein Mörder, ein Täuscher, eine Hexe war, alles zur gleichen Zeit, und dennoch auf immer der Narr der Königin.
    Die Amme, die ich nicht kannte und die mich nicht kannte, rief: »Was ist mit der Prinzessin? Was geht vor? Haben sie es gewagt, sie zu krönen?«
    »Nein. Sie haben den Junghäuptling gekrönt.«
    Beide Frauen starrten mich an. Die Amme keuchte: »Mit der Krone von Gloria?«
    »Ja.«
    Die Amme begann zu fluchen, sie stieß eine Reihe von unflätigen Worten hervor, die man eher vom Lenker eines Lastkahns erwartet hätte als von einer Frau, die Kinder großzog. Lady Margaret stand einen langen Augenblick reglos da. Dann zog sie, praktisch denkend wie immer, die winzige Stickschere aus einer Tasche ihres Kleides und säbelte mühsam meine Fesseln durch, wobei sie nur eine Sekunde innehielt, als ihr zum ersten Mal der Stumpf meiner rechten Hand auffiel.
    »Roger, was kannst du uns noch berichten?«
    »Als die Wilden den Junghäuptling gekrönt haben, gab es einen Aufstand unter den Palastleuten. Es wurde… es wurde Blut vergossen. Ich weiß nicht, wie schlimm es geworden ist. Aber es kann nicht lange dauern. Niemand von unseren Leuten ist bewaffnet.«
    »Es sind nicht deine Leute«, sagte Lady Margaret säuerlich. »Dieses Recht hast du verspielt, denke ich.«
    »Nein«, sagte ich, »das habe ich nicht. Und Ihr habt mir, wie Ihr Euch sicher erinnern dürft, bei dem geholfen, was ich getan habe.«
    »Mir waren deine Absichten nicht bekannt. Und ich werde mich jetzt nicht mit dir streiten, da wir beide vermutlich sterben werden. Aber, Nana«, sagte sie und wandte sich an die Amme, »ich glaube, du bist sicher. Der Junghäuptling hat keine Frauen dabei, mit Ausnahme dieser nackten Huren, und er wird sich auf der langen Reise über die Berge nicht mit der Sorge um ein Kind herumschlagen wollen. Er wird dich brauchen.«
    Davon hatte ich bislang keine Ahnung gehabt. Die Wilden wollten die königliche Prinzessin aus dem Königinnenreich fortbringen? Keine Prinzessin oder Königin verließ jemals ihre Königinnenreich, bis auf das eine Mal während ihrer Verlobungsreise, um die Ländereien zu begutachten, die ihr Gemahl mit in die Ehe brachte. Aber niemand konnte erwarten, dass eine Sechsjährige etwas mit Verstand begutachtete. Genauso wenig erwartete ich, dass der Junghäuptling Prinzessin Stephanie– Königin Stephanie inzwischen, falls der Aufruhr im Thronsaal lange genug zur Ruhe gekommen war, um sie zu krönen– zurück ins Königinnenreich bringen würde. Sie würde eine Gefangene in jenem entfernten Land im Westen sein, das keiner von uns je gesehen hatte.
    Die Amme sagte heißblütig: »Wenn er es wagt, ihr etwas anzutun…«
    »Das wird er bestimmt nicht«, sagte Lady Margaret.
    Die Amme wandte sich voller Angst an die Kammerdame: »Das könnt Ihr nicht wissen!«
    »Ich weiß, dass er große Mühen auf sich genommen hat, um sie zu heiraten, und dass der Erhalt ihres Wohlergehens der einzige Weg ist, wie er das Königinnenreich halten kann.«
    »Stimmt, stimmt«, sagte die Amme, halbwegs beruhigt. »Mein armes, mutterloses Lamm! Wo es ihr doch so oft nicht gut geht und sie von Albträumen geplagt wird!« Sie fing an, mit beiden Fäusten an die Tür zu hämmern.
    »Hört damit auf«, sagte Lady Margaret in einem Ton, an den ich mich gut erinnerte. Die Amme hörte mit dem Hämmern auf. Lady Margaret, die älter und weitaus weniger töricht als die übrigen Hofdamen von Königin Caroline gewesen war, leistete man für gewöhnlich Folge. Sie war nicht hübsch und wirkte immer

Weitere Kostenlose Bücher