Das Land jenseits des Waldes, Band I
aus der Umklammerung zu lösen.
Knars öffnete seine Augen und kam langsam wieder zu sich.
»Mensch. Alter!« herrschte ihn Jan an, der mittlerweile kreidebleich geworden war. Was hast denn du für eine Störung? Das war ja gerade voll krank! Ja fast schon pervers.«
Knars brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder zu sammeln. Er hatte völlig die Kontrolle verloren. Dafür gab es keine Rechtfertigung. Er schämte sich.
»Tut mir echt Leid Leute«, gestand Knars und seine Knie gaben nach. »Ich weiß auch nicht, was mit mir heute los ist. Es ist einfach passiert. Ich versprech’ euch, es kommt nicht wieder vor. Bestimmt!« Genau bei diesen Worten sackten dann die Beine unter ihm weg, und Jan konnte ihn gerade noch rechtzeitig auffangen und auf Tischis altem Bett absetzten.
»Jetzt mach dir da keine unnötigen Sorgen«, sagte Phillip dann zu ihm, »wir kümmern uns hier schon um dich! Darauf kannst du dich verlassen. Uns ist hier noch keiner verloren gegangen!«
Und Knars konnte sich nicht helfen. Jede einzelne Silbe dieser hilfsbereiten und freundlichen Worte klang in seinen Ohren wie eine unverblümte Drohung.
Phillip, der seine schulische Freizeit ebenso wie Lars häufig als Rettungsassistent verbrachte, setzte sich kurz zu Knars aufs Bett. Die Sache war für ihn schnell klar. Seit über zwölf Stunden nichts mehr gegessen, hoher emotionaler Stressfaktor, Unterzuckerung, Blutdruckabfall, Kreislauf wackelt. Abhilfe: sofort etwas wirklich Ungesundes essen! Sofort.
Jan wurde daraufhin in die Küche von Haus Nummer Fünf geschickt, obwohl Lebensmittel und Essen in den Schülerzimmern strikt verboten waren. Phillip würde diesen Ausnahmefall dann auf seine Kappe nehmen, wenn nötig.
Wenige Minuten später kam Jan wieder zurück und zwar mit einem Salamibaguette (sehr fett und sehr salzig), einem riesigen Haselnuss-karamell-nougat- Schokoladenriegel (pures Gift für die Leistungssportler hier im Haus) und einer kleinen Flasche mit richtigem klassischen Cola (extremer Zuckergehalt, eine Todsünde für die Leistungssportler). Knars griff schnell zu und mit jedem Bissen, mit jedem Schluck lebte er wieder auf und bald war das Problem von gerade eben, wenn es denn überhaupt ein Problem gewesen war, beseitigt und vergessen.
Phillip verabschiedete sich dann zügig. Er musste sich noch fürs gleich anstehende Abendessen umziehen. Sein derzeitiges Outfit war diesem Anlass nicht angemessen. Und er wusste das. Auch wenn ihn Herr Trietz vorher im Büro nicht explizit darauf hingewiesen hätte.
Aber auch Knars musste sich allmählich mit dem Umziehen beeilen, wenn er noch rechtzeitig hinüber zum Abendessen kommen wollte, das an diesem Sonntag für halb neun Uhr am Abend angesetzt war.
Wenigstens, so hatte es zumindest den Anschein, schien Herr Rechenberg nun doch noch gerade rechtzeitig zum Beginn des neuen Tatort s wieder drüben in seinem Haus in wenigen Gehminuten Entfernung auf dem Schlossgelände angekommen zu sein. So hoffte es Knars jedenfalls inständig, damit ihn der Zorn des hiesigen Drogenbeauftragten womöglich nicht noch wochenlang weiter verfolgen würde.
Als er jedoch auf seine Armbanduhr blickte, bildeten die beiden Zeiger fast einen rechten Winkel und zeigten 18:16 Uhr an. Seltsam. Knars machte einen kurzen Schritt hinaus auf den Flur und auf der offiziellen funkgesteuerten Uhr über der Tür von Herrn Trietz’ Dienstzimmer war es mit 20:16 Uhr exakt zwei Stunden später. Verwirrt hielt Knars sein linkes Handgelenk ans Ohr und hörte das Ticken des dünnen Sekundenzeiger. Die Knopfzelle hatte er doch erst vor zwei Wochen bei einem Juwelier fachmännisch austauschen lassen. Und wo verdammt noch mal in aller Welt waren denn nun diese verfickten zwei Stunden geblieben? Knars überprüfte noch schnell, ob sich womöglich Kondenswasser innerhalb seiner Uhr angesammelt hatte. Keine Spur davon. Sein neuer Zimmerkamerad riss ihn aus seinen Gedankenspielen.
»Jetzt beeil dich mal Alter«, sagte Jan und blickte nun zur Abwechslung wirklich mal ernsthaft streng drein. »So kannst du jedenfalls nicht zum Essen erscheinen.«
Knars nickte. Nun pressierte es wirklich. Er zog mit Schwung seine Schuhe aus, ließ seine unten immer noch leicht schlammverspritzte Jeans auf Tischis altes Bett fallen, ebenso wie sein inzwischen reichlich verschwitztes Hemd. Dann das T-Shirt, dann die Socken, die ja sowieso absolut nicht zu den eleganten schwarzen Schuhen gepasst hatten. Um Zeit zu sparen schüttete er danach
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