Das Land jenseits des Waldes, Band I
schlicht und einfach den gesamten Inhalt seiner riesigen asics Tasche einfach über seinem neuen Bett aus und kramte als aller erstes nun endlich ein dünnes dunkelblaues Paar angemessener Socken heraus. Dann ein frisches T-Shirt und eine zu den Schuhen passende schwarze Hose, die allerdings den ganzen turbulenten Tag in dieser Tasche ebenso wenig unzerknittert überstanden hatte wie ihr Träger. Ganz zuletzt dann noch ein frisches Hemd, dessen Kragen er jedoch nicht aufstellte. Er hielt dies in seiner augenblicklichen Stellung hier in Lohenmuld auch nicht wirklich für angemessen.
Genügend Gelegenheit zum Ordnung schaffen würde sich dann ja wohl hoffentlich noch später ergeben. Spätestens dann, wenn Herr Trietz die abendliche Zimmerkontrolle durchführte.
Jan hatte die Geschwindigkeit und Konsequenz, mit der Knars soeben die Kleiderwechselaktion durchgezogen hatte, nicht ohne eine gewissen Anflug von Respekt beobachtet. »Nur über deine Unterhose müssen wir dann nachher noch mal wirklich dringend reden, Alter«, grinste er danach viel sagend.
Auch Knars zog seinen linken Mundwinkel nach schräg unten. Er hatte sich ja bereits vorher unten im Labor bei Herrn Rechenberg für seine bunte Unterhose gewissermaßen schon entschuldigt. Und wenn Jan gerade vorher nicht im Zimmer gewesen wäre, hätte er eben mit Sicherheit auch noch seine Unterhose gewechselt, die zudem vom Drogentest vorhin immer noch irgendwie ziemlich reichlich nach seiner eigenen Pisse roch. Aber irgendwie wollte er sich halt unter den Blicken von Jan nicht wirklich vollständig ausziehen, auch wenn er ja mittlerweile wusste, dass die Mulder hier am Schloss voreinander keinerlei Geheimnisse hatten. Die Zimmerkameraden untereinander ja schon aus rein praktischen Gründen dann wohl schon gleich gar überhaupt nicht.
Dann bereitete Jan seinen neuen Zimmerkameraden schon einmal darauf vor, dass womöglich Frau Direktor Professor Wechselberger die Gelegenheit gleich nutzen würde, um ihn in einer kurzen Zeremonie vor dem Dessert in Anwesenheit der gesamten Lohenmulder Schülerschaft am Schloss den offiziellen Lohenmulder Schulpullover zu überreichen. Üblicherweise erhielten neue Schüler dieses Kleidungsstück, die quasi offizielle Insignie ihrer Zugehörigkeit zu Lohenmuld erst in einer kleinen, meist nachmittäglichen Feierstunde durch die derzeitige Herzogin von Lohstein nach einer gewissen Probezeit gegen Ende der ersten Hälfte ihres ersten Trimesters überreicht. In diesem speziellen Fall übernahm Knars hier jedoch direkt Tischis Platz am Schloss und vieles, wenn nicht gar alles, war dadurch halt etwas anders. Beschleunigt anders.
»Du musst dann selbst noch ein paar möglichst geistreiche Sätze dazu sagen und dich selber kurz vorstellen«, führte Jan die hiesigen Gepflogenheiten am Schloss weiter aus. »Also am besten irgendwie einschleimen. Beim Stiftungsrat. Bei den Lehrern, bei den anderen Muldern. Aber nicht so stark, dass es schon wieder peinlich wird.«
Knars nickte höflich. Das war ja wirklich ein schmaler Grat, auf dem er jetzt hier zu wandeln hatte. Und er fürchtete, er könnte dabei jederzeit ganz leicht abstürzen, so wie ein ungeübter Wanderer beim untauglichen Versuch den Crib Goch in den westlichen Bergen von Wales unweit der mutmaßlichen letzten Ruhestätte von King Arthur zu beschreiten. Messerscharf. Kriminell schmal. Nichts für sensible Naturen, die man dort regelmäßig mit dem Helikopter herausholen musste.
»Und noch was. Kotzen kannst du dann ja später. Also reiß dich gefälligst zusammen! Klar?« legte Jan dann mit einem weiteren überheblichen Grinsen nochmals nach, und Knars wurde schon beim bloßen Gedanken daran speiübel, gleich vor einem vollen Saal reden zu müssen, selbst wenn es womöglich nur eine kurze Minute lang dauern sollte. Aber da musste er jetzt halt auch noch durch. Es half ja alles nichts.
Ganz wie ein berühmter Schriftsteller einmal so passend formuliert hatte.
»…if you can’t fix it,
you have got to stand it .«
Nachdem er das Geschirr von Knars’ außerplanmäßigen ungesunden Snack unauffällig wieder hinüber in die Hausküche geschafft hatte, damit Herr Trietz später nicht merkte, dass sie unerlaubterweise Essen mit aufs Zimmer genommen hatten, wurde Jan ganz allmählich unruhig. Er brauchte jetzt vor dem Abendessen noch ganz dringend unbedingt eine Zigarette. Da das Rauchen im Schloss jedoch streng verboten und in den Schülerzimmern bei drakonischen Strafen, bis
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