Das Land zwischen den Meeren
sich auf, und dann kehrte die Erinnerung zurück.
»Ich glaube, du hast Fieber, Dorothea. Hier, trink einen Schluck!«
Sie nahm den Becher mit kühlem Bier, den Katharina ihr hinhielt, und trank ihn in einem Zug leer. »Diese Leibschmerzen … Gestern auf dem Weg hierher fingen sie schon an.«
»Vermutlich hast du in letzter Zeit zu wenig gegessen. Oder etwas Falsches. Ich bereite dir einen Bettwärmer.«
Katharina setzte den Wasserkessel auf, füllte das tellergroße Kupfergefäß und wickelte es in ein frisches Küchentuch. »Hier, mein Kind, leg dir die Pfanne auf den Leib. Und versuch wieder zu schlafen.«
Dorothea fühlte, wie sich die Wärme in ihrem Körper ausbreitete. Sie brauchte keine Angst zu haben. Sie war in Deutz bei ihrer Patentante. Und hier war sie in Sicherheit.
Das Aufstehen am nächsten Morgen kostete Dorothea große Mühe. Gleich nach dem Frühstück legte sie sich wieder nieder, schwebte zwischen Wachen und Dämmern. Was, wenn ihre Schwäche mit dem Kind zu tun hatte? Auf das sie doch gut achtgeben musste. Angst überkam sie, sie presste die Hände auf den Leib, beschützend und beschwörend. Sie betete zur Gottesmutter und schlief erschöpft wieder ein. Wachte irgendwann auf, weil sie etwas Feuchtes, Klebriges zwischen den Beinen spürte. Voll böser Vorahnung schlug sie die Bettdecke zurück und hob das Nachthemd an. Sie entdeckte einen handtellergroßen roten Fleck auf dem Laken. Und dann erkannte sie, dass es Blut war. Ihr eigenes Blut.
Sie ließ sich auf das Kissen zurückfallen, ihr Leib bäumte sich auf. Ein dumpfer, qualvoller Schrei entfuhr ihrer trockenen Kehle. »Nein!« Ein bleierner Ring legte sich um ihren Körper, zog sich Zoll um Zoll enger zusammen. Sie wälzte sich auf die Seite und zog die Beine an, klemmte die Hände zwischen die Schenkel. In ihrem Innern krampfte sich schmerzhaft etwas zusammen, mehrmals kurz hintereinander. Dann spürte sie den Schwall, der aus ihr herausschoss. Sie wollte nichts mehr hören, nichts mehr fühlen, nicht mehr sein. Ihr wundes Herz verweigerte sich einer Einsicht, zu der ihr Verstand bereits gekommen war. Ihr werdendes Kind war das Band zu Alexander gewesen, und nun war dieses gerissen. In diesem Augenblick schien der geliebte Mann ein zweites Mal gestorben zu sein.
Eine Hand berührte sie sacht an der Schulter. »Dorothea, hörst du mich?«
Sie wandte Katharina ihr schweißnasses, tränenüberströmtes Gesicht zu, rang nach Atem, schluckte schwer und schluchzte.
»Somit ist nun alles vorbei … Mein armes Kind, was musst du nicht alles durchmachen. Ach, wenn ich dir nur helfen könnte!« Katharina setzte sich zu ihr aufs Sofa, nahm sie in die Arme, drückte sie an ihren großen weichen Busen und wiegte sie wie ein Kind. Und dann weinten sie gemeinsam Tränen der Trauer und der verlorenen Hoffnung.
Später, nachdem ihre Augen getrocknet waren, stand Dorothea hinter dem grün bespannten Paravent, ließ das Nachthemd zu Boden gleiten und füllte Wasser aus einem Krug in eine Emailleschüssel. Mit der einen Hand stützte sie sich ab, mit der anderen nahm sie einen Lappen und fuhr sich über das glühende Gesicht und den Oberkörper. Wusch sich das Blut von den Innenseiten ihrer Schenkel. Sah schaudernd, wie das Wasser in der Schüssel rot wurde. Dreimal füllte sie frisches Wasser nach, dann trocknete sie sich ab, zog Unterwäsche und Mieder an und faltete ein Leintuch zu einer Rolle. Dieses knotete sie an Bändern fest, die sie sich eigenhändig an den Bund ihrer Beinkleider genäht hatte, um das Blut aufzufangen, das sie seit ihrem dreizehnten Lebensjahr alle vier Wochen verlor. Mit diesem von ihr selbst ersonnenen Behelf ließen sich die Unannehmlichkeiten der Monatsblutung ein wenig leichter ertragen. Katharina stützte sie und führte sie vorsichtig zum Sofa, das sie in der Zwischenzeit mit frischen Laken bezogen hatte. Sie hüllte die Patentochter in eine Decke, streichelte ihr Haar und summte ein Schlaflied. Genau wie früher, als Dorothea ein kleines Mädchen gewesen war.
Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte. Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster, vor dem die Patentante saß und nähte.
»Welchen Tag haben wir, Tante Katharina?«
»Ostersonntag. Und draußen ist herrliches Wetter. Wie fühlst du dich heute?«
Plötzlich war Dorothea hellwach. Zu ihrer Überraschung fühlte sie keinerlei Mattheit mehr, nur noch den Drang nach Bewegung. »Es geht mir besser. Ich glaube, ich möchte einen Spaziergang
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