Das Land zwischen den Meeren
und von Nord nach Süd die Callas.
Die meist eingeschossigen Wohnhäuser waren aus Holz errichtet und hatten zur Straßenseite hin eine Veranda. Einige besaßen nicht einmal Fenster, während die Dächer meist mit Palmwedeln statt mit Schindeln gedeckt waren. Die Ankömmlinge passierten den Parque Central, einen rechteckig angelegten Park mit Palmen, Guanacastebäumen, Sträuchern und Blumen in allen erdenklichen Farben. Wie fast überall im Land, so hatte Dorothea gelesen, bildete der Park das Herz der Stadt. In der Avenida Simón Bolívar hieß Jensen den Führer mit den Mulis vor einem grau verwitterten Haus mit nahezu blinden, winzig kleinen Fenstern anhalten, die kaum größer waren als ein Küchentuch.
»Die Reise ist zu Ende. Wir sind da. Hier werden Sie wohnen, bei Mercedes Castro Ibarra. Und dort drüben …« Er deutete mit der Hand auf die gegenüberliegende Straßenseite. »Dort steht mein Haus.«
Dorothea erblickte ein zweistöckiges weißes Gebäude inmitten niedriger Häuser. Es war zwar ebenfalls aus Holz errichtet, erinnerte aber in seinem prunkvollen Baustil an die Patrizierhäuser, die sie in Hamburg an der Alster gesehen hatte. Im Untergeschoss waren die grün lackierten Schlagläden vor einem großen Fenster zugeklappt. Darüber prangte ein Emailleschild. Colmado Alemán. Deutscher Gemischtwarenhandel Jensen.
Ohne anzuklopfen, betrat Jensen das graue Holzhaus. Dorothea hörte, wie er im Innern einige Worte auf Spanisch rief. Eine Frauenstimme antwortete. Nach kurzem Wortwechsel forderte der Kaufmann Dorothea mit einer Geste zum Eintreten auf. Sie nickte dem Muliführer einen Dank zu, nahm ihren Koffer und stand einen Moment lang unschlüssig auf der Türschwelle. Jensen hatte es mit einem Mal eilig.
»Mercedes zeigt Ihnen Ihr Zimmer. Kommen Sie morgen früh um halb sieben in mein Geschäft. Es gibt viel zu tun.«
Eine etwa fünfzig Jahre alte schlanke Frau mit hagerem Gesicht und einer Nase, die an einen Adlerschnabel erinnerte, trat auf Dorothea zu und zupfte sie am Ärmel. Dann zog sie sie in den hinteren Teil des düsteren kleinen Raumes und öffnete eine quietschende Tür. Dorothea blickte in einen Bretterverschlag mit einer Pritsche, auf der eine schmuddelige Decke lag. Als weiteres Mobiliar befand sich nur noch ein Holzstuhl in der düsteren Höhle, in die durch ein Fensterchen ein schmaler Streifen Tageslicht hereinfiel. Dorothea erschrak. In diesem staubigen Loch sollte sie das ganze nächste Jahr leben? Ohne Schrank, Kommode, Tisch, Waschschüssel und Spiegel? Aber womöglich lebten die meisten Costaricaner in ähnlichen Verhältnissen, und sie war durch den Luxus ihres Elternhauses allzu sehr verwöhnt.
Nein, sie wollte sich vom ersten Eindruck nicht abschrecken lassen. Außerdem verging ein Jahr bekanntlich schnell, und dann wäre sie frei. Frei, sich eine andere Stellung zu suchen und sich dort niederzulassen, wo es ihr gefiel. Bis dahin hätte sie den Schmerz über den Verlust ihres Verlobten überwunden und neue Kraft geschöpft. Und dann begänne ihre eigentliche, ihre richtige Zukunft. Sie wandte sich zu Mercedes Castro Ibarra um, die sie mit seltsam leerem Blick ansah. Dorothea fragte sich, ob sie in dieser Frau eine Verbündete fände oder sich eher auf Konflikte einstellen sollte.
November bis Dezember 1848
»Haben Sie endlich die neue Lieferung Eau de Cologne bekommen, Señorita Fassbender? Sie wissen doch, ohne diesen Duft verlasse ich nur ungern das Haus. Mir kommt es dann so vor, als sei ich nicht angemessen bekleidet.«
Dorothea schmunzelte. Schon in Deutschland hatte sie diesen Geruch nicht gemocht, weil er sie eher an Seife erinnerte, wie die Dienstmädchen sie zum Scheuern von Küchenfliesen verwendeten, als an ein Duftwasser. Doch das brauchte die nette Kundin nicht zu erfahren.
Ihre Mutter und deren Freundinnen hatten Eau de Cologne literweise verbraucht, und hier, am anderen Ende der Welt, hatten die Frauen nichts anderes zu tun, als ausgerechnet dieses Parfum aus Köln zu verlangen. Es war sogar das beliebteste Produkt in Erik Jensens Gemischtwarenladen, der gar nicht so schnell neue Ware aus Deutschland nachordern konnte, wie die Kundinnen das Wasser verbrauchten. Dorothea klappte die Trittleiter auf, stieg die Stufen hinauf und holte zwei Flakons aus dem Regal.
»Möchten Sie eine kleine oder eine große Flasche nehmen, Señora Miller?«
Johanna Miller, Witwe eines englischen Kapitäns, war etwa siebzig Jahre alt, stammte aus der Schweiz und lebte
Weitere Kostenlose Bücher