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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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meinerseits aus dem Arbeitsverhältnis entlassen bin.«
    »Ich bin ein Hamburger Kaufmann. Mein Wort sollte Ihnen wohl genügen.«
    Den ganzen Tag über war Dorothea im Laden nicht bei der Sache. Sie fragte sich, wie sie auf diesen Kerl mit der Fassade eines Ehrenmannes und dem Herzen eines Betrügers hatte hereinfallen können. Ihr Wunsch, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen, hatte sie wohl blind gemacht.
    Am Nachmittag kam Urs Keller, der junge Schweizer Uhrmacher, in den Laden, um Dachshaarpinsel und Rasierseife zu kaufen. Da er in der Nähe der Hacienda Bella Vista wohnte, gab Dorothea ihm eine kurze Nachricht für Johanna Miller mit. Sie könne am Tag darauf nicht bei ihr einziehen, schrieb sie, sondern müsse weitere zwei Monate bei Jensen arbeiten.
    Er wartete darauf, dass der Zuckerrohrschnaps seine besänftigende Wirkung tat. Früher hatte er immer nur zwei oder drei Gläschen am Abend getrunken, mit dem Wirt über Politik oder die viel zu hohen Steuerabgaben diskutiert und sich dann eine Droschke bestellt, hatte sich zu Hause friedlich ins Bett gelegt und war eingeschlafen. Aber inzwischen verlangten Geist und Körper bereits am helllichten Tag nach mehr. Komm, schenk mir noch einen Guaro ein, Raoul! Es war bereits sein sechster, aber daran war schließlich sie schuld. Sie ganz allein. Weil sie ihn immerzu herausforderte. Mit ihrer sanften, freundlichen Stimme, der eleganten, beinahe schwebenden Art, die Füße voreinanderzusetzen, mit ihrer schmalen Taille, der hellen Porzellanhaut, die so wunderbar mit dem blonden Haar harmonierte, das, je nach Beleuchtung, mal golden, mal rötlich schimmerte. Sie wirkte so zart und so stark, so hilflos und selbstsicher, so verlockend und kühl, und das machte ihn rasend. Was war das Geheimnis, das sie wie eine Aura umgab? Bisher war es ihm nicht gelungen, es ihr zu entlocken.
    Manchmal beobachtete er sie durch die Regale hindurch, wie sie mit den Kunden sprach. Lächelnd, zugewandt, aufmerksam. Und ihm entgingen keineswegs die angespannten Kiefermuskeln und das Verlangen in den Augen der Männer. Die alle dasselbe wollten. Dasselbe wie er. Ihren Panzer knacken und sie Schicht für Schicht häuten. Ihren Stolz brechen. Sie besitzen! Noch einen Guaro, Raoul, einen doppelten! Was war nur mit seinem Kopf? Hinter seiner Stirn hämmerte es.
    Als er sie zum ersten Mal im Hamburger Überseebureau gesehen hatte, hatte er es gleich gespürt. Sie war anders. Anders als die Frauen, die er bisher kennengelernt hatte. Und die er nach Stunden oder Tagen gemeinsamen Vergnügens immer anständig bezahlt und wieder fortgeschickt hatte. Doch offenbar war sie sich ihrer Wirkung gar nicht bewusst. Etwas Hilfloses, Unschuldiges ging von ihr aus, und er wollte sie beschützen. Nicht wie ein Vater, nein, wie ein Mann, der einen Schatz entdeckt hat und ihn ganz für sich allein bewahren will. Warum nur war sie so unzugänglich, so widerborstig, ließ sich nicht hinter die Stirn schauen? Er hätte ihr seinen ganzen Besitz zu Füßen gelegt, sogar seine Freiheit, wenn sie ihn nur beachtet hätte. Als Mann wahrgenommen hätte.
    Trotz seines grauen Haars wirkte er attraktiv und männlich. Das bestätigte ihm sein Spiegelbild jeden Morgen. Außerdem besaß er gewandte Umgangsformen und hatte als weit gereister Kaufmann eine untadelige Reputation. Gut, er war älter als sie. Viel älter sogar. Aber träumten junge Frauen nicht genau davon? Weil sie sich insgeheim nach einem Mann sehnten, der Erfahrung und Weitblick besaß und an dessen Schulter sie sich anlehnen konnten. Der in der Lage war, ihnen eine sorgenfreie Zukunft zu bieten. In seinem Kopf drehte sich ein Karussell, das immerfort in Bewegung war. Raoul, wie lange soll ich denn noch warten? Einen Guaro, hab ich gesagt, aber ein bisschen plötzlich! Und dann bestell mir eine Droschke! Ich will nach Hause.
    Er wankte durch den Garten und beobachtete sie durch das kleine Fenster zum Lager. Dort lehnte sie am Schreibpult und schlug eine Seite im Rechnungsbuch um, trat an das Regal, in dem die Kiste mit den Schuhbürsten stand, zählte nach, nickte, blätterte weiter durch das Buch. Er sah ihr mädchenhaftes Profil, die aufgesteckten Zöpfe, den schlanken Hals, die Brüste, die sich unter dem Kleiderstoff vorwölbten. Mit den Händen wollte er sie umfassen, sie kneten und ihre Wärme spüren. Weiß und nackt und fest.
    Eine züngelnde Flamme stieg in ihm auf, und er presste die Hände gegen den bebenden Unterleib. Nur noch sechs Wochen

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