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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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ein Seepferdchen, dem sie jetzt zwei Augen aus Pfefferkörnern eindrückte, ehe sie es Perdu überreichte.
    »Ich war Bildhauerin. Irgendwann einmal. Ich bin achtundvierzig, ich fange noch mal an, alles wieder zu lernen. Ich weiß nicht, wie viele Jahre es her ist, dass ich mit meinem Mann geschlafen habe. Ich war treu, blöd und so schrecklich allein, dass ich Sie auffressen werde, wenn Sie nett zu mir sind. Oder ich bringe Sie um, weil ich es nicht ertragen kann.«
    Perdu fand es ganz erstaunlich: er, mit einer solchen Frau, allein, hinter einer geschlossenen Tür.
    Er verlor sich in der Betrachtung von Catherines Gesicht, ihres Kopfes, als ob er in sie hineinkriechen und sich umschauen durfte, was dort drin wohl noch Interessantes herumstand.
    Catherine hatte Ohrlöcher, trug aber keine Ohrringe. (»Die mit den Rubinen trägt jetzt seine Neue. Eigentlich schade, ich hätte sie ihm so gern vor die Füße geworfen.«) Manchmal fasste sie sich an das Halsgrübchen, als ob sie etwas suchte, vielleicht eine Kette, die nun auch die andere trug.
    »Und was machen Sie so, zurzeit?«, fragte sie.
    Er beschrieb ihr die Literarische Apotheke.
    »Eine Pénische, mit einem Hängebauch, einer Kombüse, zwei Schlafkojen, einem Bad und achttausend Büchern. Es ist eine eigene Welt in dieser Welt.« Und ein gebändigtes Abenteuer, wie jedes an Land gefesselte Schiff, aber das sagte er nicht.
    »Und als König dieser Welt Monsieur Perdu, der etwas gegen Liebeskummer verschreibt, der literarische Pharmazeut.«
    Catherine deutete auf das Buchpaket, das er ihr am Abend zuvor mitgebracht hatte.
    »Es hilft übrigens.«
    »Was wollten Sie werden, als Sie ein Mädchen waren?«, fragte er, bevor ihn zu viel Verlegenheit umfing.
    »Oh. Ich wollte Bibliothekarin werden. Und Piratin. Ihr Bücherschiff wäre genau das, was ich gebraucht hätte. Tagsüber hätte ich alle Geheimnisse der Welt lesend gehoben.«
    Perdu lauschte ihr mit wachsender Zuneigung.
    »Nachts hätte ich dann den bösen Menschen alles gestohlen, was sie sich mit ihren Lügen von den Guten geholt haben. Und ihnen nur ein einziges Buch dagelassen, das sie läutern würde, zum Bereuen zwingen, sie in gute Menschen verwandelt und so weiter – natürlich.« Sie lachte auf.
    »Natürlich«, bestätigte er ihre Ironie. Denn das war das einzig Tragische an Büchern: Sie veränderten Menschen. Nur nicht die wirklich Bösen. Diese wurden keine besseren Väter, keine netten Ehemänner, keine liebevolleren Freundinnen. Sie blieben Tyrannen, quälten weiter ihre Angestellten, Kinder und Hunde, waren gehässig im Kleinen und feige im Großen und freuten sich, wenn ihre Opfer sich schämten.
    »Bücher waren meine Freunde«, sagte Catherine und kühlte sich die von der Kochwärme gerötete Wange am Weinglas.
    »Ich glaube, ich habe meine gesamten Gefühle aus Büchern gelernt. Ich habe darin mehr geliebt und gelacht und gewusst als je in meinem ganzen ungelesenen Leben.«
    »Ich auch«, murmelte Perdu.
    Sie sahen sich an, und da geschah es einfach so.
    »Was heißt das J eigentlich?«, fragte Catherine mit dunklerer Stimme.
    Er musste sich räuspern, bevor er antworten konnte.
    »Jean«, flüsterte er. Seine Zunge stieß sich an den Zähnen, so fremd war ihr dieses Wort.
    »Ich heiße Jean. Jean Albert Victor Perdu. Albert nach meinem Großvater väterlicherseits. Victor nach meinem Großvater mütterlicherseits. Meine Mutter ist Professorin, ihr Vater Victor Bernier war Toxikologe, Sozialist und Bürgermeister. Ich bin fünfzig Jahre alt, Catherine, und ich habe nicht sehr viele Frauen gekannt, geschweige denn mit vielen geschlafen. Eine habe ich geliebt. Sie hat mich verlassen.«
    Catherine beobachtete ihn genau.
    »Gestern. Gestern vor einundzwanzig Jahren. Von ihr ist der Brief. Ich habe Angst vor dem, was darin steht.«
    Er wartete ab, dass sie ihn rausschmiss. Ihm eine Ohrfeige gab. Wegschaute. Aber all das tat sie nicht.
    »Ach, Jean«, flüsterte Catherine stattdessen voller Mitgefühl.
    »Jean.«
    Da war es wieder.
    Die Süße, seinen eigenen Namen zu hören.
    Sie sahen sich an, er bemerkte ein Flattern in ihrem Blick, er spürte, dass auch er weicher wurde, sie eintreten ließ in sich, eindringen – ja, sie drangen ineinander ein mit ihren Blicken und den fortgelassenen Worten.
    Zwei kleine Boote auf einem Meer, die dachten, sie trieben allein umher, seit sie ihre Anker verloren, aber jetzt …
    Sie strich ihm kurz über die Wange.
    Die Zartheit traf ihn wie eine Ohrfeige,

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