Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
Vom Netzwerk:
unsichtbar sein?
    Als er Liona aus dem Hintergrund des Geschäfts hervorkommen sah, um ihm die übliche Samstagstüte für seinen Vater mitzugeben, erinnerte sich Perdu, wie oft er hier vorbeigegangen war und es ausgeschlagen hatte, auf ein kleines Glas stehen zu bleiben. Auf ein Wort, mit ihr oder jemand anderem, mit freundlichen, normalen Leuten. Wie oft war er in den letzten einundzwanzig Jahren irgendwo lieber vorbeigegangen, anstatt stehen zu bleiben, sich Freunde zu suchen, sich einer Frau zu nähern?
    Eine halbe Stunde später stand Perdu an einen Tisch der noch geschlossenen Bar Ourcq am Bassin Valette. Hier parkten die Boule -Spieler ihre Wasserflaschen und belegten Käse-Schinken-Baguettes. Ein kleiner, breiter Mann sah überrascht zu ihm auf.
    »Was machst du denn so früh hier, ist etwas mit Madame Bernier? Sag schon, ist Lirab…«
    »Nein, Maman geht es gut. Sie kommandiert ein Regiment Deutscher herum, die Konversation von einer echten Pariser Intellektuellen lernen wollen. Mach dir keine Sorgen.«
    »Deutsche, sagst du? Ah, ja. Mademoiselle Bernier wird die Welt sicher noch viele Jahrzehnte bei bester Gesundheit belehren, so wie früher uns.«
    Vater und Sohn schwiegen, vereint in der Erinnerung, wie Lirabelle Bernier, als Perdu noch Schuljunge war, schon beim Frühstück die Eleganz des distanzierten Konjunktivs im Gegensatz zur Emotionalität des Subjonctifs erklärt hatte. Mit erhobenem Zeigefinger, an dessen oberem Ende eine goldlackierte Spitze ihren Worten Nachdruck verlieh.
    »Subjonctif ist, wenn das Herz spricht. Merk dir das.«
    Lirabelle Bernier. Sein Vater sprach sie wieder mit ihrem Mädchennamen an, nachdem er sie in ihrer achtjährigen Ehe erst Frau Frechkatz, dann Madame Perdu genannt hatte.
    »Und, was sollst du mir diesmal von ihr sagen?«, fragte Joaquin Perdu seinen Sohn.
    »Dass du zum Urologen musst.«
    »Sag ihr, ich geh ja hin. Es ist nicht nötig, mich alle sechs Monate daran zu erinnern.«
    Sie hatten im Alter von einundzwanzig Jahren geheiratet, um ihrer beider Eltern zu ärgern. Sie, die Intellektuelle aus einem Philosophen- und Ökonomenhaushalt, die sich mit einem Eisendreher traf – degoutant. Er, der Proletariersohn, Vater ein Streifenpolizist, Mutter tiefgläubige Fabriknäherin, der sich mit einer aus der Oberklasse zusammentat – Klassenverräter.
    »Noch was?«, fragte Joaquin und zog den Muscatwein aus der Tüte, die Perdu ihm hingestellt hatte.
    »Sie braucht einen neuen Gebrauchten. Du sollst ihr einen suchen. Aber nicht in so einer komischen Farbe wie der Letzte.«
    »Komisch? Der war weiß. Also, wirklich, deine Mutter …«
    »Also, machst du’s?«
    »Ja doch. Hat der Autoverkäufer wieder nicht mit ihr geredet?«
    »Nein. Er fragt immer nach ihrem Mann. Das macht sie wahnsinnig.«
    »Ich weiß, Jeanno. Er ist ein guter Freund von mir, dieser Coco, er spielt in unserer Pétanque -Triplette, ein ganz guter Leger.«
    Joaquin grinste.
    »Kann deine kleine neue Freundin kochen, lässt Mama fragen, oder isst du am vierzehnten Juli bei ihr?«
    »Du kannst deiner Mutter ausrichten, dass meine sogenannte kleine neue Freundin sehr wohl kochen kann, dass wir aber etwas anderes zu tun haben, wenn wir uns treffen.«
    »Ich glaube, das sagst du Mama lieber selbst, Papa.«
    »Ich kann’s Mademoiselle Bernier ja am vierzehnten Juli sagen. Sie kocht immerhin gut. Bestimmt gibt’s Hirn auf Zunge.«
    Joaquin schüttete sich fast aus vor Lachen.
    Seit der frühen Scheidung seiner Eltern besuchte Jean Perdu seinen Vater jeden Sonnabend mit Muscat und diversen Anfragen seiner Mutter. Jeden Sonntag ging er dann zu seiner Mutter und brachte ihr die Antworten des Ex-Gatten sowie einen – gemäßigten – Report über dessen Gesundheits- und Beziehungsstatus.
    »Mein lieber Sohn, wenn du als Frau heiratest, trittst du unwiderruflich in ein ewiges Beaufsichtigungssystem ein. Du passt auf alles auf – was dein Mann macht und wie es ihm geht. Und später, wenn Kinder kommen, auch auf sie. Du bist Aufpasserin, Dienerin und Diplomatin in einem. Und das endet sicher nicht durch so etwas Banales wie eine Scheidung. Oh, nein – die Liebe mag gehen, aber die Fürsorge, die bleibt.«
    Perdu und sein Vater gingen ein Stück den Kanal hinab. Joaquin, der Kleinere, aufrecht, breitschultrig in seinem lila-weiß karierten Hemd, einen glühenden Blick zu dieser und jeder Frau werfend. In den blonden Härchen auf Joaquins Eisendreherunterarmen tanzte die Sonne. Er war Mitte siebzig, aber hielt

Weitere Kostenlose Bücher