Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
eine wunderschöne, sagenhafte Ohrfeige.
Noch mal. Noch mal!
Als sie ihr Weinglas abstellte, streiften sich ihre nackten Unterarme.
Die Haut. Der Haarflaum. Die Wärme.
Wer sich mehr erschreckte, war nicht klar – aber dass es nicht das Erschrecken vor der Fremdheit, der plötzlichen Intimität, der Berührung war, wurde beiden bewusst, sofort.
Sie erschraken, weil es sich so gut anfühlte.
11
J ean tat einen Schritt auf sie zu, bis er hinter ihr stand und Catherines Haar riechen konnte, ihre Schultern an seiner Brust spüren. Sein Herz raste. Er legte seine Hände unendlich langsam und ganz ruhig auf ihre schmalen Handgelenke. Er umfasste sie, zart, und strich Catherines Arme hinauf, Daumen und Finger ein Ring aus Wärme und Haut.
Sie keuchte auf, ein Vogellaut, der seinen Namen trug, ganz klein zusammengefaltet.
»Jean?«
»Ja, Catherine.«
Jean Perdu spürte das Zittern, das sich in ihr ausbreitete. Es kam aus ihrer Mitte unter ihrem Nabel, ein Beben und Rollen. Es breitete sich aus wie ein Ring aus Wellen.
Er umarmte sie von hinten, um sie zu halten.
Ihr Körper bebte. Er verriet, dass sie lange, sehr lange unberührt gewesen war. Sie war eine Knospe, eingepresst in einen verhornten Kokon.
So einsam. So allein.
Catherine lehnte sich leicht an ihn. Ihr kurzes Haar roch gut.
Jean Perdu berührte sie noch zarter, streichelte nur die Spitzen der Härchen, nur die Luft über ihren bloßen Armen.
Es ist so schön.
Mehr, flehte Catherines Körper, oh, bitte, mehr, es ist so lange her, ich verdurste. Und bitte, nein, nicht so stark, es ist zu viel, zu viel. Ich halte das nicht aus! Es fehlte mir so. Das Fehlen hielt ich aus, bis eben, ich war so hart zu mir – aber jetzt, ich zerbreche, zerriesele wie Sand, ich verschwinde, hilf mir doch, mach weiter.
Ich kann ihre Gefühle hören?
Was aus ihrem Mund kam, waren nur Varianten seines Namens.
Jean. Jean! Jean?
Catherine lehnte sich ganz an ihn und übergab sich seinen Händen. Hitze strömte in seine Finger, es war ihm, als sei er Hand und Schwanz und Gefühl und Körper und Seele und Mann und alle Muskeln zugleich, konzentriert in jeder Fingerspitze.
Er berührte nur das, was er an bloßer Haut erreichen konnte, ohne ihr Kleid zu verschieben. Ihre Arme, die fest und braun waren, bis zum Ärmelrand; er umfasste sie immer wieder und formte sie nach. Er streichelte ihren Nacken, dunkelbraun, ihren Hals, zart und weich, ihre geschwungenen, wunderbaren, hypnotisierenden Schlüsselbeine. Er tat es mit den Fingerspitzen, der Daumenkuppe, er zog die Konturen der Muskeln nach, die harten, die weichen, alles mit der Daumenkuppe.
Ihre Haut wurde wärmer und wärmer. Er spürte, wie die darunterliegenden Muskeln praller wurden, wie Catherines ganzer Leib an Lebendigkeit, flexibler Weichheit und Hitze zunahm. Eine dichte, schwere Blüte, die sich aus der Knospe schälte. Eine Königin der Nacht.
Er ließ ihren Namen von der Zunge rollen.
»Catherine.«
Lange vergessene Gefühle schüttelten in ihm die Kruste der Zeit ab. Perdu spürte ein Ziehen in seinem Unterleib. Seine Hände fühlten jetzt nicht nur mehr, was sie Catherine taten, sondern wie ihre Haut antwortete, wie ihr Körper auch seine Hände liebkoste. Ihr Leib küsste seine Handinnenflächen, seine Fingerspitzen.
Wie macht sie das? Was macht sie mit mir?
Ob er sie tragen konnte, um sie dort abzulegen, wo sich ihre zitternden Knie auszuruhen vermochten? Wo er erforschen wollte, wie sich ihre Haut anfühlte, an den Waden, in den Kniekehlen? Ob er ihr weitere Melodien entlocken konnte?
Er wollte sie vor sich liegen sehen, mit offenen Augen, sein Blick in ihrem; er wollte ihre Lippen mit den Fingern berühren, ihr Gesicht. Er wollte, dass ihr ganzer Körper seine Hände küsste, jeder Teil ihres Körpers.
Catherine drehte sich um, die grauen Augen der stürmische Regenhimmel, aufgerissen, wild, bewegt.
Nun hob er sie hoch. Sie schmiegte sich an ihn. Er trug sie in ihr Schlafzimmer und wiegte sie dabei sanft. Ihr Gemach war ein Spiegelbild seines Lebens. Eine Matratze auf dem Boden, eine Kleiderstange in der Ecke, Bücher, Leselampe – und ein Plattenspieler.
Sein eigenes Spiegelbild begegnete ihm in den hohen Fenstern, eine gesichtslose Silhouette. Aber aufrecht. Stark. In den Armen eine Frau – solch eine Frau.
Jean Perdu spürte, wie sein Körper etwas abschüttelte. Eine Gefühlstaubheit, eine Blindheit seiner selbst.
Das Unsichtbarseinwollen.
Ich bin ein Mann … ich bin es wieder.
Er
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