Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
stockte.
Die mit Häusern und Pinien überwucherte steile Landspitze zu Jeans Linker leuchtete in Rostgold, der Horizont zeichnete sich orangeblau ab, das Meer wogte süß und salzig.
Als er den Muscheltopf fast leer gegessen hatte und nur noch in einem Rest nach Kräutern schmeckender, vom Meerwasser getränkter Sahne und blauschwarz schimmernder Muschelschalenkrümel herumkratzte, waren Meer, Himmel und Land für Minuten in ein und dasselbe Blau getaucht. Ein Graublau, das die Luft, seinen Wein und die weißen Wände und Promenaden kühl färbte und alle Menschen für Minuten wie sprechende, steinerne Skulpturen wirken ließ.
Ein blonder Surfertyp räumte Perdus Topf und Schalenteller fort und reichte ihm routiniert warmes Handwaschwasser.
»Möchtest du noch ein Dessert?« Das hörte sich freundlich an, aber auch schon nach: »Wenn nicht, geh bitte, wir können den Platz noch zweimal besetzen.«
Er hatte sich trotzdem wohl gefühlt. Er hatte das Meer gegessen und mit den Augen getrunken. Danach hatte er sich gesehnt, und ein wenig hatte das Zittern in ihm nachgelassen.
Perdu ließ den Rest Wein stehen, warf einen Schein auf den Rechnungsteller und ging zu seinem buntgescheckten Renault 5. Mit sahnigem Salz auf den Lippen folgte er wieder der Küstenstraße.
Als er das Meer nicht mehr sehen konnte, bog er trotzig bei der nächsten Querstraße nach rechts und von der Route Nationale ab. Zwischen Pinien, Zypressen, Windflüchterkiefern und Häusern, Hotels und Villen sah er es bald erneut im hellen Mondlicht aufscheinen. Er fuhr über leere Sträßchen durch eine wunderschöne Wohnsiedlung. Prächtige farbige Villen. Er wusste zwar nicht, wo er war, aber er wusste, dass er hier gern am nächsten Morgen aufwachen und im Meer schwimmen wollte. Es wurde Zeit, nach einer Pension Ausschau zu halten oder nach einem Strandabschnitt, wo er ein Feuer machen konnte, um unter den Sternen zu schlafen.
Gerade als Perdu den Boulevard Frédéric Mistral hinabrollte, begann der Renault, ein pfeifendes »Wuiiiiih« von sich zu geben. Es mündete in einen zischenden Knall und ein hustendes Versagen des Motors. Mit dem letzten Schwung der Hangabfahrt lenkte Perdu den Wagen an die Straßenseite.
Dort atmete der Renault ein letztes Mal aus. Es gab nicht einmal mehr ein elektronisches Klicken, als Jean den Zündschlüssel drehte. Der Wagen wollte offenbar ebenfalls hierbleiben.
Monsieur Perdu stieg aus und sah sich um.
Unter sich entdeckte er eine kleine Badebucht, darüber Villen und Appartementhäuser, die sich einen halben Kilometer weiter zu einem Zentrum zu verdichten schienen. Darüber waberte freundliches orangeblaues Licht. Er nahm seine kleine Tasche aus dem Wagen und marschierte los.
Eine erlösende Ruhe lag in der Luft. Keine Freiluftdisco. Keine Wagenkolonne. Ja, selbst das Meer wogte hier leiser.
Als er nach zehn Minuten Fußweg entlang alter, kleiner Villen mit blühenden Gärten den seltsamen viereckigen Wachturm erreichte, um den man vor über hundert Jahren ringsum ein Hotel gebaut hatte, ahnte er, wo er gelandet war.
Ausgerechnet! Und doch so logisch.
Ehrfurchtsvoll trat er an den Quai. Er schloss die Augen, um den Geruch aufzunehmen. Salz. Weite. Frische.
Er öffnete die Augen wieder. Der alte Fischerhafen. Dutzende farbige, sich auf dem blauen Seidenwasser wiegende Schiffchen. Weiter hinten strahlend weiße Jachten. Die Häuser – keines höher als vier Stockwerke und mit pastellfarbenen Fassaden.
Dieses schöne alte Seefahrerdorf, am Tag in einem Licht, das die Farben aufblühen ließ, bei Nacht unter reichem Sternenhimmel und am Abend im sanft rosafarbenen Schein der altmodischen Laternen. Dort der Markt mit seinen gelben und roten Standmarkisen unter üppigen Platanen. Dazwischen Menschen, beruhigt von Sonne und Meer, verträumt vor sich hin schauend, hingegossen an einen der zahllosen Tische und Stühle der alten Bars und neuen Cafés.
Ein Ort, der schon viele Flüchtende gekannt und beschützt hatte.
Sanary-sur-Mer.
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A n: Catherine (Nachname vom berühmten Le P.-Sie-wissen-schon), Rue Montagnard No. 27, 75011 Paris
Sanary-sur-Mer, im August
Ferne Catherine.
Das Meer hat bisher siebenundzwanzig Farben gezeigt. Heute dieser Mix aus Blau und Grün. Petrol nennen es die Frauen in den Boutiquen, die wissen Bescheid, ich nenne es »nasses Türkis«.
Das Meer, Catherine, kann rufen. Es kann kratzen, Katzenhiebe. Es kann sich bei dir einschmeicheln und dich streicheln, es kann der glatteste
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