Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
Spiegel sein, und dann wieder tobt es und lockt die Surfer in die groben, lauten Wellen. Es ist jeden Tag anders, und die Möwen schreien an Sturmtagen wie kleine Kinder und an sonnigen wie die Verkünder der Herrlichkeit: »Schön! Schön! Schön!« Man könnte sterben an Sanarys Schönheit und es nicht merken.
Meine Junggesellentage in dem belle bleue, meinem blauen Zimmer bei André in seiner Pension Beau Séjours waren schon bald nach dem vierzehnten Juli vorbei. Ich muss nicht mehr meinen Bettbezug mit Kleidung vollstopfen und mit Schwiegersohnblick zu Madame Pauline gehen oder in den Waschsalon hinten bei dem Einkaufszentrum in Six fours les plages. Ich habe jetzt eine Waschmaschine. In der Buchhandlung war Zahltag, MM – Madame Minou Monfrère, die Besitzerin und erste Buchhändlerin vor Ort – ist mit mir zufrieden. Ich störe nicht, sagt sie. Nun ja. Die erste Chefin meines Lebens hat mir die Kinderbücher zugeteilt, die Lexika, die Klassiker, und mich gebeten, die Abteilung der deutschen Exil-Schriftsteller aufzuforsten. Ich tue alles, wie sie es will, und auf merkwürdige Art tut es mir gut, mich selbst nicht vor den Karren spannen zu müssen.
Ich habe auch ein Haus gefunden, für die Waschmaschine und für mich.
Es steht auf einem Hügel oberhalb des Hafens, hinter der Kapelle Notre Dame de Pitié, aber vor Portisol, der winzigen Badebucht, wo die Feriengäste Handtuch an Handtuch liegen. Es gibt Altbauwohnungen in Paris, die sind größer als das Haus. Aber nicht so schön.
Es hat eine Farbe, die zwischen Flamingorot und Chinacurrygelb changiert. Von einem der Schlafzimmer aus sieht man auf eine Palme, eine Pinie, reichlich Blumen und die Rückseite der kleinen Kapelle, dann, über Hibiskus hinweg, auf das Meer. Eine Farbkombination, wie sie Gauguin geliebt hätte. Pink und Petrol. Rosa und nass gewordenes Türkis. Ich habe das sichere Gefühl, ich lerne hier erst zu sehen, Catherine.
Anstatt Miete zu zahlen, renoviere ich, seitdem ich einzog, das Flamingo-Curry-Haus, es gehört ebenfalls André und seiner Frau Pauline. Sie selbst haben keine Zeit und keine Kinder, die sie scheuchen können. Im Sommer ist ihre Pension mit neun Zimmern, das Beau Séjours, ausgebucht.
Ich vermisse es, das »Blaue Zimmer«, die No. 3 im ersten Stock, und Andrés rasselnde Stimme, sein Frühstück, seinen stillen Hinterhof, der ein Dach aus grünen Blättern hat. André hat etwas von meinem Vater. Er kocht für die Pensionsgäste, Pauline legt Solitaire oder auf Wunsch mancher Damen auch Tarot und kümmert sich um die Stimmung. Ich sehe sie meist rauchend und schnalzend Karten auf dem Plastiktisch auslegen. Sie hat es mir auch angeboten. Soll ich es annehmen?
Ihre Putzfrauen – Aimée, blond, dick, sehr laut, sehr lustig, und Sülüm, winzig, dünn, hart, eine verschrumpelte Olive, lacht ton- und zahnlos – tragen ihre Waschwassereimer am Henkel über dem Arm, wie Pariserinnen ihre Vuitton- und Chanel-Taschen. Ich sehe Aimée oft in der Kirche, in der am Hafen. Sie singt und hat dabei Tränen in den Augen. Die Gottesdienste sind hier Menschendienste. Die Messdiener sind jung, tragen weiße Nachthemden und lächeln sehr warmherzig. Von der üblichen Verlogenheit vieler Touristenorte im Süden ist in Sanary wenig zu merken.
Genauso muss man singen. Glücklich weinend. Ich habe begonnen, wieder unter der Dusche zu singen, während ich gefühlt von Strahl zu Strahl der maroden Brause hüpfe. Manchmal aber bin ich noch wie eingenäht in mir. Als ob ich in einem unsichtbaren Kasten wohnte, der mich einsperrt und alle anderen aus. Dann kommt mir sogar meine Stimme überflüssig vor.
Ich baue über der Terrasse ein Schattendach, denn so zuverlässig die Sonne hier ist – sie ist auch wie der riesige Salon eines Adelshauses: Du fühlst dich durchwärmt und geborgen, luxuriös mit Glanz und Weichheit umfangen, aber auch erdrückt, bedroht, erstickt, wenn die Hitze zu lang andauert. Zwischen vierzehn und siebzehn, manchmal bis neunzehn Uhr geht kein Sanarianer aus einem Schatten heraus. Lieber verkriecht er sich am kühlsten Ort seines Hauses, legt sich nackt auf kalte Kacheln im Keller und wartet ab, dass die Schönheit und der Backofen draußen endlich Gnade walten lassen. Ich lege mir feuchte Handtücher um den Kopf und auf den Rücken.
Von der Küchenterrasse, die ich baue, siehst du zwischen Schiffsmasten die bunten Fassaden am Hafen, aber vor allem die glänzend weißen Jachten und am Ende der Mole den Leuchtturm,
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