Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
diese Sexton University ist. Und was ich machen soll, falls ich es tatsächlich herausfinde.
5. Juli
Ich habe keine Ahnung, wie viele Colleges es in den Vereinigten Staaten gibt. Oder vielmehr: wie viele es gab, denn soweit ich weiß, existiert kein einziges mehr. Aber Dad hat früher am Denning College gearbeitet, deshalb bestand zumindest die Möglichkeit, dass er schon mal von der Sexton University gehört hatte. Und vielleicht sogar wusste, wo sie liegt.
Das Problem war nur, dass ich ihm irgendeine Erklärung liefern musste, warum ich danach fragte. Ich konnte ja wohl kaum sagen: »Ach, ich dachte, ich könnte mich nächstes Jahr dort bewerben, weil ich schon immer auf eine Uni gehen wollte, die nach Anne Sexton benannt wurde – wer immer das sein mag.«
Wahrscheinlich würde er mir eher glauben, wenn ich behaupten würde, dass ich schon immer auf eine Uni wollte, die Sex im Namen trägt. Ist ja letztlich auch egal. Mag sein, dass es noch irgendwo Colleges gibt. Aber solange die sich nicht in fahrradtauglicher Entfernung von Howell, Pennsylvania, befinden, komme ich da eh nicht mehr rechtzeitig zur Einschreibung an.
Ich musste mir also irgendeinen anderen Grund überlegen, aber mir fiel keiner ein. Ich konnte ja wohl kaum behaupten, der Name sei zufällig in einem Gespräch gefallen oder bei einem Ratespiel, wo es um die am wenigsten bekannten Universitäten Amerikas gegangen war.
Außerdem merkt Dad immer sofort, wenn ich lüge. Wahrscheinlich würde er mir innerhalb von zwei Minuten auf die Schliche kommen, wenn nicht noch schneller.
Mom hatte bestimmt schon mal von Anne Sexton gehört, aber das hieß ja nicht, dass sie auch die Sexton University kannte. Außerdem würde sie mir noch viel schneller auf die Schliche kommen als Dad. Das kostete sie nicht mal ein müdes Lächeln.
Früher, als das Leben noch leicht war, hätte ich einfach im Internet gesucht. Das ist ja das Tolle am Internet: dass es nicht danach fragt, warum man etwas wissen will.
Aber obwohl wir inzwischen fast die halbe Zeit Strom haben, gibt es kein Telefon, kein Kabel und auch kein Internet. Vielleicht haben diese sicheren Städte das noch, aber ich wohne nun mal in keiner.
Ich versuchte mich zu erinnern, wie die Leute etwas rausgefunden hatten, bevor es Internet gab. Die müssen doch auch mal Fragen gehabt haben, die sie nicht unbedingt ihren Eltern stellen wollten. Oder ihren Lehrern. Oder ihren Bibliothekaren.
Bibliothekare! Die wussten doch immer, wie man etwas rausfinden kann. Das war schließlich ihr Job, sogar noch vor dem Internet.
Es gab da nur ein Problem: Die Bücherei in Howell hatte schon vor Monaten zugemacht.
Aber deshalb mussten ja nicht alle ihre Bücher verschwunden sein. Vielleicht gab es dort ein Buch, in dem sämtliche Unis des Landes aufgelistet waren. Und sollte das dort jemals gestanden haben, wäre es jetzt bestimmt immer noch da. Wer würde so was schon klauen?
Die nächste Frage lautete, ob ich tatsächlich zur Bücherei fahren und versuchen sollte, das Buch zu finden und mir die Adresse der Sexton University zu besorgen. Tat ich es nicht, musste ich Alex auch nichts davon erzählen. Fuhr ich aber hin, dann doch wohl genau deshalb, um ihm davon zu berichten. Aus welchem anderen Grund sollte mich die Adresse der Sexton University interessieren? Außer natürlich, um davon zu träumen, auf eine Uni zu gehen, die Sex im Namen hat.
Wenn Alex es wüsste, würde er fortgehen. Egal, wie weit es dorthin wäre. Er würde warten, bis Julie sich wieder erholt hätte, dann würden sie aufbrechen. Ich würde keinen von beiden wiedersehen. Es sei denn, ich ginge mit ihnen. Was bekanntermaßen nicht nur das Einverständnis meiner Eltern, sondern auch das von Gott und der Kirche voraussetzen würde.
Aber wie könnte ich ihm nicht davon erzählen? Und was, wenn Syl sich während der Bibellesungen mit Lisa und Charlie doch mal verplapperte? Dann würde Alex trotzdem von der Sexton University erfahren und mit Julie dorthin aufbrechen. Aber er würde mich hassen. Und wenn wir uns schon nie mehr wiedersehen würden, sollte ihm der Abschied wenigstens schwerfallen.
Also fuhr ich in die Stadt. Mom belog ich – ich sagte, ich würde zu Dad rübergehen, um mit dem Baby zu spielen. Sie schöpfte nicht den geringsten Verdacht. Manche Lügen sind anscheinend glaubhafter als andere. Mein Rad stand in der Garage. Sie hat nicht gesehen, wie ich es mir geholt habe. Falls doch, kam sie jedenfalls nicht rausgerannt, um mich zur
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