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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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Sie sind aus Gold und zeigen unser Familienwappen. Anton wird die später einmal erben. Mir würden sie nichts nützen. Mädchen wechseln bei der Heirat ihren Namen und damit auch das Wappen.
    Sobald Mama und Papa abgefahren sind, hole ich die zerknitterte Buße aus meinem Sonntagsjackett, zerreiße sie in kleinste Fetzen und spüle sie in der Toilette mit viel Wasser hinunter. Beim Nachtgebet versichere ich dem lieben Gott, den Bußzettel nur Papa zuliebe weggenommen zu haben, »um sein Herz zu schonen, das musst du mir glauben, und bitte, bitte mach, dass die Sache gut ausgeht!«
    Statt den Refusé-Umschlag bei der Post einzuwerfen, entnimmt Mama ihm den grünen Einzahlungsschein, drückt das Couvert in einen ziemlich vollen Papierkorb und zwinkert mir zu. Als wir am Postschalter an der Reihe sind, trägt sie ein paar Zahlen ein, öffnet das Portemonnaie, reicht dem Posthalter eine Banknote sowie den Einzahlungsschein.
    »Ha, auch Pech gehabt, Frau Doktor? Trösten Sie sich, mich haben die Saukerle kürzlich mit der Vespa in einer Sackgasse erwischt! Offenbar sind sie unterbeschäftigt, unsere Polizisten. Warten Sie, Sie bekommen noch heraus …«
    Bevor wir wieder ins Auto steigen, bittet Mama mich, Papa von all diesen Dingen nichts zu sagen. Darauf gebe ich ihr gerne mein Ehrenwort.
Auch Beppo will gefirmt werden
    Im allerletzten Moment schaffen wir es noch auf den Bahnhof. Wir sollen vorauslaufen, »Perron drei«, ruft uns Papa hinterher.
    Als erstes fragt Großpapa enttäuscht, wo denn überhaupt der Firmling sei.
    »In der Kirche. Die müssen für morgen den Ablauf üben.«
    Großpapa ist mit der Antwort zufrieden. Kaum im Auto, gilt sein Interesse Papas Herz. »Bist du unterdessen endlich bei einem Spezialisten gewesen?«
    Papa gelingt es, auf Umwegen einem direkten Nein auszuweichen.
    In der Garageneinfahrt erwartet uns Mama. Sie öffnet Großpapa die Tür und hilft ihm aus dem Auto. »Herzlich willkommen im Miramon, lieber Papa, wir haben uns sehr auf Sie gefreut!«
    Großpapa umarmt zwar auch Mama nicht, aber er bückt sich nach vorne, sie darf ihn rechts und links auf die Wangen küssen. Und da kommt auch schon der Anton mit seinem Velo den Tannenweg heraufgeschnauft.
    Wegen Blitz’ Unberechenbarkeit machen wir mit Großpapa noch vor dem Tee einen Spaziergang. So kann sich der Hund an ihn gewöhnen.
    Verwundert sieht Großpapa zu Mama, die keine Anstalten macht, uns zu begleiten.
    »Ich werde Ihnen in der Zwischenzeit die Bibliothek herrichten, damit Sie sich bei uns ganz wie zuhause fühlen!«
    Mama hat gemogelt. Die Couch ist längst in ein Bett verwandelt, Blumen, eine Bettflasche, Wasser mit Zitronenschnitzen, alles ist da, was Großpapa schätzt. Anton trägt ihm seinen Koffer hinüber.
    Gemäß Papas Plan sollen wir Kinder mit dem Hund spielen, bis er müde ist. Aber Blitz interessieren heute weder die Stecken, noch rennt er seine gewohnten Runden. Er geht neben unserem Ehrengast her, als wäre dieser und nicht Papa sein Herrchen.
    »Der hat an Ihnen den Narr gefressen, Papa!«
    »Oh ja«, nickt Großpapa beinahe feierlich, »er scheint zu spüren, wie sehr mir die Alpha fehlt.«
    »Hast du denn an deinem neuen Hund keine Freude? Das ist doch auch ein Irish Setter?!«
    Großpapa gibt mir keine Antwort. Er unterhält sich mit Papa wieder über Adenauer, und Anton hört zu, als ob ihn das etwas anginge. Ich und Koni locken Blitz von Großpapas Seite weg. Wir verstecken uns mit ihm hinter einer Holzbeige und lassen ihn los, sobald sie auf unserer Höhe sind. Mit wenigen Sätzen springt er zu Großpapa und an ihm hoch und …
    »Pfui! Pfui Blitz! Lass los, aus! Pfui«, schreit Papa. Blitz hat sich an Großpapas Ärmel festgebissen. Er lässt erst los, nachdem Anton mit einem Bengel auf ihn eingeschlagen hat.
    »Das hättest du nicht tun dürfen, ein Tier schlägt man nicht, Anton!« Und zu Papa: »Mit deinem Gebrüll muss ja der zahmste Hund wild werden. Ich habe eine unvorsichtige Bewegung gemacht, nur deshalb hat er mich angesprungen. Guter Hund, ja, ja, braver Hund.«
    Großpapas Stimme ist nicht laut geworden. Trotzdem schweigen jetzt alle.
    Die ersten Gäste treffen bereits zum Frühstück ein. Die späteren gehen direkt in den Salon zum Aperitif. Papa hat seine berühmte Bowle zubereitet. Bald herrscht eine Bombenstimmung. Großmama passt es gar nicht, dass vor der Messe getrunken wird.
    Ich soll mit Onkel Raoul zur Kirche fahren.
    »Schließlich bin ich dein Götti«, sagt er beim Einsteigen.

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