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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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ohne h. Du bist also allein im Wald gewesen, und ausgerechnet du findest …«
    »Ja. Der Gehängte war auf meinem Heimweg, im Birchiwald, dort bei der Feuerstelle.«
    »Er-hängt, nicht ge-hängt; gehängt hat man früher die Verbrecher …«
    »Wer sich selber umbringt, ist ja auch ein Verbrecher.«
    »Mädchen, wo hast du bloß solchen Quatsch her. Wenn sich jemand das Leben nimmt, ist er krank und bedauernswert.«
    »Darf ich jetzt gehen?«
    »Willst du nicht vorher noch deine Note wissen?«
    Bevor ich zur Tür hinausgehe, schaue ich nochmals zurück: »Doch, gerne.«
    »Du hast trotz der vielen Rechtschreibefehler eine Eins bekommen.«
    Ich würde dem Stellvertreter gerne sagen, wie leid es mir tut, dass Herr Übelharts Kur nach den Weihnachtsferien zu Ende ist und Herr Majer nicht für immer bei uns bleibt. Aber ich befürchte, er könnte denken, ich würde das nur wegen der Eins sagen. Papa findet Heuchler etwas vom Schlimmsten, denen fehlt es an Rückgrat.
Papa muss sich schonen
    Vorläufig darf Papa an höchstens drei Morgen arbeiten, er muss ausruhen, gesund essen und »das Leben gelassener nehmen«. Er macht sich über den Rat des Herzspezialisten bloß lustig und nennt ihn »en arrogantä Nool«. Als ob sich ein Mensch aufs Geheiß über Nacht ändern könnte!
    Papa hat nun jede Menge Zeit – und Onkel Fred auch. Er erholt sich von irgendeinem Bruch, so hören sie oft zusammen Musik. Aber Onkel Fred hat wieder bloß klassische Schallplatten mitgebracht. Er sieht mir meine Enttäuschung an. »Wenn du möchtest, nehme ich für dich morgen die
Zauberflöte
mit, das ist eine Oper, die auch Kinder gern haben.«
    »Nein danke, mir gefällt solches Zeug nicht so gut.«
    »Noch nicht«, sagt Papa. Er liegt auf der Couch, auf dem Beistelltischchen hat er seinen Fruchtsaft, Mama hat ihn mit unserem neuen Mixer zubereitet.
    »Mir gefallen Schlager besser.«
    »Zum Beispiel?«
    «
Sieben Mal in der Woche werd’ ich ausgehn

    »Weißt du auch, wer das singt?«
    »Vico Torriani. Und Mamas Lieblingslied ist
O mein Papa
mit Lys Assia.«
    »Welches ist denn dein Lieblingsschlager?«
    »
Pack die Badehose ein

    »Kennst du die Conny?«
    »Ja, die ist im letzten
Bravo
gewesen.«
    »Du kleiner Fratz liest das
Bravo

    »Nein, nein. Gerda und ich haben uns bloß mal das von ihrer älteren Schwester angeguckt.«
    Onkel Fred führt nun langsam den Arm des Plattenspielers über die schwarze Scheibe und setzt sorgfältig die Nadel auf. Mit seinem Zeigefinger auf dem Mund bedeutet er mir zu schweigen. »
Aida
. Callas auf ihrem Höhepunkt, mit Mario del Monaco als Radames.«
    Da die Musik schon ertönt, hat uns das Onkel Fred nur mit gedämpfter Stimme erklärt. Er macht es sich im Sessel gemütlich. Ich setze mich in Papas Nähe auf einen Hocker. Die beiden Männer hören mit einer Aufmerksamkeit zu, als würde jeden Moment etwas passieren. Für mich ist die Frauenstimme nur schrill und lauter, als sie sein müsste. Nach ein paar Minuten schleiche ich wie ein Mäuschen aus dem Salon. Abends ruft Anton aus Stans an. Sein Notendurchschnitt ist fast eine Eins, verrät er Mama. Papa will das am Telefon selber hören. Unterdessen erinnert mich Mama an meine Gymiprüfung, obwohl die ja noch lange nicht fällig ist. »Die Ingenbohler-Schwestern sind mindestens so streng wie die Patres in Stans, das kann ich dir aus eigener Erfahrung sagen, gib dir also in der Schule etwas mehr Mühe!«
    »Ich will gar nicht nach Ingenbohl, dir hat es dort ja auch nicht gefallen.«
    »Doch, doch.«
    »Du hast selbst erzählt, dass du jedesmal wieder geweint hast, wenn du gehen musstest, auf jeder Treppenstufe hinauf zum Institut hast du eine Träne geweint, das hast du selber gesagt!«
    »Es bizzji Lengizyt hat jedes Kind, das ist normal.«
    »Ich gehe trotzdem nicht nach Ingenbohl!«
    »Stürm nicht schon wieder!«
    Dass ich trotzig die Lippen zupresse, mag Mama gar nicht.
    »Jaja«, sagt sie, »die werden dir deinen Sezzchopf dann schon austreiben.«
    »S Kollegi ist doch picobello«, mischt sich nun Koni ein. »Ich jedenfalls freu mich auf Stans!«
    »Das dauert ja auch noch eine Ewigkeit, bis du Knirps da hinkommst!«
    »So viel kleiner als du bin ich gar nicht!«
    Papa hat sich »ferä grescht Gluscht« eine Zigarette angezündet. Er nimmt genussvoll einen Zug und überreicht sie Mama jetzt so schnell, dass man meinen könnte, er hätte sich die Finger verbrannt. Stolz wiederholt er den uns längst bekannten Satz: »Ich rauche nicht mehr,

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