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Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter de Bruyn
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aber gab es, die Sophie Ellrodt hieß. Sie wohnte in dem zwischen Hof und Kulmbach gelegenen Städtchen Helmbrechts und war vier Jahre älter als der zwanzigjährige Student. Da von diesem schnell entstandenen und schnell vergangenen Verhältnis einige Briefe von ihr und Briefkonzepte von ihm erhalten blieben, weiß man, dass er sie während der Semesterferien im Sommer 1783 kennenlernte, sich mit ihr im »Leupoldsgrüner Wäldchen« verabredete, sie wohl auch in Helmbrechts besuchte, wobei auch Ringe getauscht wurden, und er dann wieder nach Leipzig fuhr. Ihr erster Brief an ihn war mit »Hochedler, insonders Hochgeehrtester Herr Candidat« überschrieben, der zweite wurde schon mit »Theurer Geliebter« eingeleitet, aber im dritten, in dem er mit »Zärtlichster Geliebter« angeredet wurde, forderte sie schon mit einer fadenscheinigen Begründung ihren Ring zurück. Diese Episode, deren rasche Beendigung Richter sicher erleichterte, wurde dem Freund Oerthel nur mit der bezeichnenden Bemerkung angedeutet, er sei drei Tage und drei Nächte an einem dem Freunde »unbekannten Orte« gewesen, und habe dort »drei Tage wenigstens nichts gedacht« .
    Als er nach der Rückkehr aus Leipzig in Töpen und Schwarzenbach durch die Kinder, die er unterrichtete, auch mit deren Familien bekannt wurde, hatte er bald einige Mädchen um sich, die Witz und Sensibilität an ihm schätzten und Vertrauen zu ihm fassten, weil er frei von männlichem Besitzstreben war. Da sie mit ihm in erhabenen Gefühlen schwelgen konnten, ohne vor ihm auf der Hut sein zu müssen, entstand zwischen ihm und ihnen ein zart-erotisches Verhältnis, dessen Leichtigkeit auch darin gründete, dass der arme Kandidat für die Honoratiorentöchter als Ehemann kaum in Frage kam. Folgerichtig wurde auch sein Verlöbnis, das er mit einer von ihnen einging, schnell wieder beendet, und eine ernsthafte Verliebtheit in eine Amöne endete dann auch damit, dass nicht er, sondern sein besser situierter Freund Otto sie heiratete, während er in dem Kreis der Renaten und Helenen der allseits beliebte Einzelgänger blieb. Unter ihnen lernte er seine Gefühle aus der Verspannung zu lösen und sie zu äußern; er konnte Sicherheit im geselligen Umgang gewinnen, Einblick in die zweitrangige Stellung der Frauen erhalten und, weil er keine von ihnen intimer kannte, das Idealbild, das er von Frauen hatte, bestätigt sehen.

Todesvision
    »W ichtigster Abend meines Lebens« , schrieb Richter am 15. November 1790 in sein kurzzeitig geführtes Tagebuch, »denn ich empfand den Gedanken des Todes, dass es schlechterdings kein Unterschied ist, ob ich morgen oder in 30 Jahren sterbe, dass alle Plane und alles mir davonschwindet und dass ich die armen Menschen lieben soll, die so bald mit ihrem bisgen Leben niedersinken – der Gedanke ging mir bis zur Gleichgültigkeit an allen Geschäften.«
    Da die Menschen damals, auch bedingt durch die hohe Kindersterblichkeit, im Durchschnitt nur 30 Jahre alt wurden und nicht in Kliniken, sondern zu Hause starben, wurde der Alltag stärker als heute vom Tode bestimmt. Durch ihn hatte Richter nicht nur die früh verstorbenen Schwestern und die Freunde Oerthel und Hermann verloren, sondern auch Heinrich, einen der Brüder. Dieser hatte sich aus Verzweiflung über die nicht endende Not der Familie in der Saale ertränkt. Aber auch schon vor dieser Depression im traurigen Monat November hatte Richter die ständige Nähe des Todes beschäftigt, wovon Aufsätze wie »Für und wider den Selbstmord«, »Das Leben nach dem Tode«, »Meine lebendige Begrabung« und andere zeugen; so dass man die Tagebuchnotiz, in der er sich vornimmt, über die Menschen nicht mehr nur zu lästern, sondern sie auch zu lieben, als Abschluss einer längeren Entwicklung begreifen kann. Und tatsächlich markiert die Todesvision eine Wende, und zwar nicht nur eine seines Denkens, sondern auch eine seines Werks. Indem sich der kalte Blick des Lebensunerfahrenen und Vorurteilsvollen in den verständnisvollen Blick eines Mitleidenden und Mitliebenden wandelte, wurde aus dem satirischen Betrachter menschlicher Mängel ein Erzähler, der die Freuden und Leiden seiner Gestalten teilt.
    Dass die Depressionen auch noch andere Ursachen hatten, ist anzunehmen. Die Erfolglosigkeit seiner Schriften wird dabei eine Rolle gespielt haben, mehr aber wohl die philosophische und theologische Krise, in die er geraten war. Der Sohn des strenggläubigen Pfarrers, der von Jugend an die kirchlichen

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