Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
Vom Netzwerk:
Richmond aus durchgefahren, um nirgendwo Geld für eine Übernachtung ausgeben zu müssen. Aber er konnte sich kaum dort aufgehalten haben.
    Am nächsten Morgen besuchte ich ihn, um zu hören, wie sein Besuch bei Val verlaufen war. Er saß am Küchentisch, trank Kaffee und war sehr einsilbig.
    »Wie hat ihr die Anstecknadel gefallen?«, fragte ich. Er antwortete nicht, sondern verrührte die Sahne in seinem Kaffee und schaute aus dem Fenster.
    »Sie hat wieder geheiratet«, sagte er schließlich. »Einen von diesen Typen, die mit Aktien und so was zu tun haben. Mit Schlips und Kragen und so. Weißt du, wie sie den kennengelernt hat? Sie sollte für ihn ein Porträt von seinem verstorbenen Hund malen. Und dann waren sie plötzlich ein Paar. Sie haben mich reingebeten, auf ein Glas Limonade«, fuhr er fort. »Aber ich hab gesagt, ich hätte nicht viel Zeit. Ich sei ein viel beschäftigter Mann.«
    Während er das erzählte, kramte er in der Schublade des Tisches herum.
    »Aber sie ist immer noch eine schöne Frau«, murmelte er. »Daran hat sich nichts geändert.«

Dana
    Bedrohliches Ticken
    E in Gastrokritiker der New York Times erstand 1991 auf einem Wochenmarkt in Portsmouth einen Ziegen-Tomme aus unserer Produktion und schrieb eine Reportage über handgemachten Käse, in der auch ein Foto von mir und unserer besten Milchziege, Andromeda, neben unserem Blumenstand abgebildet war. Binnen einer Woche verdoppelten sich unsere Versandaufträge, und ich schlug Clarice vor, dass wir im November, wenn unsere Ziegen keine Milch mehr gaben, Urlaub machen sollten. Wir könnten uns endlich eine Italienreise leisten. Gemälde anschauen, frische Pasta essen, zum Mittagessen Wein trinken.
    »Du weißt doch, was ich viel lieber machen würde«, erwiderte sie. »Diese Reise in den Westen, von der wir immer geredet haben. Büffel sehen. Den Grand Teton. Den Yellowstone-Park. Das ist bestimmt wunderschön im Winter.«
    Doch im Herbst verstärkten sich ihre Gesundheitsprobleme. Die Taubheit in Fingern und Zehen, die sie immer wieder gespürt hatte, nahm zu, und ein Bein machte ihr Schwierigkeiten. Sie sprach nicht darüber, aber ich sah es, wenn wir unsere Räder einen Hang hochschoben. Und ich spürte, dass Clarice beunruhigt war.
    Als wir eines Abends zusammen kochten, reichte ich ihr eine Flasche Weinessig für das Salatdressing. Sie konnte die Flasche nicht öffnen, und sie glitt ihr aus den Händen.
    Diesmal suchten wir einen Neurologen in Boston auf, der diverse Untersuchungen vornahm. Als er das Ergebnis bekam, rief er Clarice an. »Sie sollten herkommen«, sagte er. Ich hätte Clarice natürlich sowieso begleitet, aber er fügte auch hinzu: »Bringen Sie Ihre Partnerin mit.«
    Es war ALS , Amyotrophe Lateralsklerose, eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, auch bekannt unter dem Namen »Lou-Gehrig-Syndrom«.
    Obwohl wir beide uns nicht für Medizin interessierten, hatten wir von dieser Krankheit gehört. Zuerst zeigten sich kleinere motorische Störungen, dann folgten zunehmende Lähmung der Gliedmaßen, Schluckprobleme und Atmungsstörungen, bis zu dem Punkt, an dem man nur noch mithilfe einer Atemmaske überleben konnte. Auch Sprechen war ab einem bestimmten Stadium nicht mehr möglich, bis schließlich das gesamte Nervensystem versagte und der Tod eintrat, im Durchschnitt drei bis fünf Jahre nach dem Zeitpunkt der Diagnose.
    »Das Gehirn funktioniert aber weiter«, sagte der Arzt. »Nur der Körper nicht mehr.« Was bedeutete, dass Clarice in ihrem Körper gefangen sein würde, ohne sich noch in irgendeiner Weise äußern zu können.
    Der Arzt legte uns ein paar Behandlungsmethoden dar, ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass sie nur lindernd wirken und den Verlauf der Krankheit nicht verändern konnten. Diese Krankheit führte unweigerlich zum Tode. Er könne sich demnächst noch detaillierter äußern, sagte er, aber nun müssten wir die Information sicher erst einmal verarbeiten.
    Auf dem Heimweg fuhr ich mit überhöhter Geschwindigkeit. Wenn wir jetzt umkämen, dachte ich mir, könnte ich die Behauptung des Arztes, dass Clarice an ALS sterben würde, widerlegen. Und wir könnten gemeinsam sterben.
    »Fahr langsamer«, sagte Clarice. »Da ist Glatteis auf der Straße.« Ihre Stimme war ruhig, und sie legte mir die Hand auf die Schulter.
    »Lass uns morgen darüber reden«, sagte sie schließlich, als wir vor unserem Haus hielten. »Jetzt gehen wir erst mal ins Bett.«
    Wir hatten uns auf diesem

Weitere Kostenlose Bücher