Das Leben in 38 Tagen
einem
Bergrücken, beide von Wind und Einsamkeit und Andacht umweht. Beide Kirchen
strahlten für mich einen solchen beruhigenden Frieden aus, dass man einfach
innehalten musste.
Nur
eine Marienstatue mit dem Kind auf dem Arm, ein paar Blumen und einige Kerzen
auf dem schmucklosen Altar zierten den Innenraum, ganz ähnlich wie in Eunate . Hier drin hörte man nichts von den vielen Menschen
vor der Tür. Ich setzte mich in eine Holzbank und nahm diesen besonderen
Frieden und die beeindruckende, aber gleichzeitig unaufdringliche Atmosphäre
dieses historischen Ortes in mich auf. Hier fühlte ich mich sonderbar beschützt
und geborgen, trotzend jedem Wind und Wetter wie die dicken, uralten Mauern.
Stundenlang hätte ich noch sitzen bleiben können.
Aber
es gab auch noch etwas Besonderes in dieser Kirche zu entdecken. In einem
Seitenflügel des zwar kleinen, aber dreischiffigen Gebäudes konnte man das so
genannte Gralswunder in Form eines Kelches und einer Monstranz besichtigen.
Hier soll sich vor einigen Jahrhunderten die Hostie in Fleisch und der Wein in
Blut verwandelt haben, als sich der Priester über einen Bauern lustig machte,
der bei Eis und Schnee extra wegen der Messe den langen, beschwerlichen Weg aus
einem abgelegenen Dorf bis in diese Kirche gekommen war. „Was für ein dummer
Mensch, der wegen einer so unnützen Sache wie einer Messe solche
Schwierigkeiten auf sich nimmt! Wäre er lieber bei Frau und Kind geblieben!“
Als er dies gesagt hatte, soll sich daraufhin dieses Wunder ereignet haben. Wer
weiß?
In
der Vorhalle kaufte ich Kerzen und einen Muschelanstecker für meinen Hut.
Nirgendwo sonst erschien es mir so passend wie hier, Kerzen anzuzünden. Ich
zündete eine Kerze für jeden Einzelnen der Menschen an, die ich geliebt hatte
und die ich loslassen musste. Dabei wünschte ich mir, dass mich der Geist
dieser Kirche noch lange begleiten und mir helfen würde, meine Gelassenheit und
die Kraft zum Loslassen zu finden...
Vor
der Tür empfing mich Sonnenschein und eine neue Reisegruppe, die deutsche
Volkslieder sang. Voller Inbrunst schmetterten sie ein Volkslied nach dem
anderen, und als sie bemerkten, dass ich auch Deutsche war, sangen sie nun auch
noch extra ein Lied für mich. Ich wünschte mir „Am Brunnen vor dem Tore“, weil
ich dabei auch mitsingen konnte. Dabei ärgerte ich mich, dass ich Tränen der Rührung
nicht zurückhalten konnte, obwohl ich die Ruhe in der Kirche doch eigentlich
viel rührender empfunden hatte. Trotzdem war es ein schöner Zufall, gerade hier
oben diese lustige Reisegruppe aus Schwaben mit ihrem Pfarrer in Zivil zu
erleben, und diese wiederum freuten sich, etwas von einem Einzelpilger zu
hören.
Inzwischen
war auch Heidemarie wieder zu mir gestoßen und mahnte mich zum Weitergehen.
Eigentlich hätte ich gern genau hier oben übernachtet. O Cebreiro war ein Ort,
der mich trotz seiner Touristen sehr anzog, aber ich musste mich entscheiden.
Es war erst 14.00 Uhr. Wir konnten noch ein bisschen laufen, also los!
Unterwegs
wurde der Wind immer stärker, so dass wir ständig dagegen ankämpfen mussten. Da
wir den Weg an der Landstraße und nicht durch den Wald genommen hatten, traf
der Wind uns mit voller Wucht und ich bereute schon wieder, dass ich mich von
Heidemarie hatte beeinflussen lassen. Ab morgen wollte ich wieder allein gehen!
Und nicht genug des Ärgers für heute, im nächsten Ort Linares gab es kein freies Bett mehr und noch drei Kilometer weiter in Hospital de la
Condesa ebenso wenig! Ratlos standen wir in der kleinen Privatherberge an der
Bar. Hier saß die lustige Sonja ziemlich traurig auf einem Barhocker und
erzählte uns, dass sie zwar ein Bett in der Gemeindeherberge ergattert, aber
leider keine Bekannten getroffen habe und, was das Schlimmste sei: Hier war ja
überhaupt nichts los! —
Na,
da hatte sie wohl Pech, denn wir konnten ihr auch nicht helfen, wir hatten ja
bis jetzt nicht einmal ein Bett! Ich war gespannt, wo wir heute schlafen
würden, aber Heidemarie zog schon wieder alle Fäden. Inzwischen telefonierte
die nette Herbergsbarbesitzerin umher und teilte uns schließlich mit, dass wir
mit dem Auto abgeholt werden würden. Ein älterer Herr, der auch an der Bar
stand und, wie sich herausstellte, ebenfalls aus Deutschland stammte, würde mit
uns fahren. Das Wort „fahren“ fand ich gar nicht angenehm. Ich wollte doch
alles laufen. Gab es hier nicht doch noch in der Nähe eine Unterkunft? Nein, es
wäre wirklich alles belegt, auch in
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