Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
ich Gleichgesinnte, Leute mit gleichen Interessen, mit dem Bestreben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Es waren zwei Jahre voller Ungewissheit und Wechsel, in denen das Alte verschwand und etwas komplett Neues entstand. Man versuchte, sich in dem neuen Land, das nun auch un seres war, zurechtzufinden, man ging auf die Straße, um gegen den ersten Irakkrieg zu demonstrieren, veranstaltete Podiumsdiskussionen mit Möllemann als Bildungsminister, um über die Probleme in der Bildungspolitik zu diskutieren, und mühte sich im Abitur mit einer neuen Zensurengebung ab. Das war 1992. Noch im selben Jahr begann ich mein Medizinstudium.
Viele Mitschüler hielten mich für eine Streberin. Zu Recht. Ich war eine . Das hatte auch einen Grund. Ich wollte immer Medizin studieren, aber meine Eltern waren beide Ärzte. Das bedeutete: Ich musste kämpfen. Man hatte große Schwierigkeiten, als Kind eines Akademikerpaares einen Studienplatz zu bekommen oder überhaupt die Erweiterte Oberschule besuchen zu dürfen. Es blieb mir also nichts anders übrig, als zu versuchen, so gut wie möglich zu sein. Ich musste diezehnte Klasse mit 1,0 abschließen, damit sie mich überhaupt zum Abitur zuließen. Sonst hätte es sein können, dass sie ein anderes Kind nehmen, das gleich gut oder auch nicht ganz so gut war, dessen Eltern jedenfalls nicht Akademiker waren und das den Aufstieg schaffen sollte.
Ich durfte daher überhaupt keine Zweifel an mir aufkommen lassen. Sie sollten überhaupt kein Argument haben, mich abzulehnen. Ich wusste sehr früh, dass ich immer die besten Noten haben musste. Das war der Grund, warum ich so gelernt habe. Es war nicht nötig, dass meine Eltern mich motivierten. Ich wollte einfach unbedingt Ärztin werden. Ich bin mit dem Krankenhausalltag groß geworden und habe meine Eltern sehr glücklich in ihrem Beruf erlebt. Wenn ein Kind seine beiden Eltern so eins mit ihren Berufen erlebt, ist das eigentlich etwas Tolles. Dann möchte man als Kind den Beruf der Eltern haben.
Es gab und gibt natürlich auch starke Abgrenzungsbedürfnis se gegenüber meinen Eltern. Von vielen Dingen habe ich ganz andere Vorstellungen als sie. So gab es in meiner Jugend auch eine Phase der Rebellion, aber sie war nie extrem. Im Grunde verstehen meine Eltern und ich einander und schätzen, was der andere will und was ihn treibt. Ich empfinde tiefen Respekt für das, was meine Eltern geleistet haben und leisten. Und wofür sie einstanden, wie sie waren, wie sie ihren Beruf ausgeübt haben, mit wie viel Liebe und Aufopferung sie das taten: Das hat mich immer fasziniert.
Selbstverständlich haben wir in bestimmten Dingen gegensätzliche Auffassungen und Meinungen. Und so erwarte ich hinsichtlich ihrer ökologischen Einstellung und Ansprüche keine 180-Grad-Drehung meiner Eltern. Aus ihnen werden sicher auch keine Althippies mehr.
Mein Vater wurde nach Beendigung seiner Laufbahn als Chefarzt einer orthopädischen Abteilung Geschäftsführer zweier Privatkliniken. Er ging Ende 2010 in Ruhestand. Er fährt einen Mercedes. Natürlich. Das konnte ich ihm bisher auch nicht ausreden. Aber er hat sich immerhin schon einen sparsameren Diesel gekauft! Ich bin begeistert und sage ihm das. Man muss auch mit kleinen Fortschritten leben können. Früher habe ich ihm oft vorgeschlagen, er könnte doch auch mit der Bahn fahren. Das fand er keine so gute Idee. Die Bahn sei ja nie pünktlich, dann fielen durch Streiks Züge aus, man wäre total abhängig. Leider geben ihm die jüngsten Vorkommnisse recht. Ja, es ist nicht so leicht, sich auf andere Formen der Mobilität umzustellen. Man muss umdenken, sich komplett anders aufstellen. Während sie ihr Haus bauten, habe ich sie ab und zu auf solche Dinge wie Fotovoltaikanlage auf dem Dach oder ökologische Wandfarben hingewiesen. Aber: Na ja. Ich freue mich ja schon darüber, dass sie Energiesparbirnen einsetzen und mir stolz davon erzählen. Und sie haben eine Regenwasseranlage, die 5 000 Liter fasst. Mit dem gewonnenen Regenwasser wird der Garten gesprengt. Ist doch schon was!
Meine Eltern haben den Übergang von der DDR zur Bundesrepublik gut geschafft. Es war eine sehr komplexe Leistung, sich auf ein anderes, vollkommen fremdes System umzustellen und zu überleben. Damit haben sie für meine Begriffe genügend in ihrem Leben geleistet. Die Herausforderungen der Zeit jetzt, der Klimawandel und alle daraus folgenden Konsequenzen, sind nicht mehr ihre Herausforderungen. Es sind die unseren. Wir müssen
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