Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
DDR-Zeit als Hintergrund, um spannende, emotionale TV-Geschichten zu erzählen.
Dass den Menschen aus dem Osten etwas fehlen könnte, wird im Westen eher belächelt. Ich glaube, dass es genau diese Werte sind, mit denen man im Osten groß geworden ist, die den Leuten fehlen, die sie vermissen. So naiv vermissen wie vielleicht diesen bestimmten Geruch aus der Kindheit von Omas Bienenstich am Sonntag; etwas, das man elementar in sich trägt, ständig sucht, aber nirgendwo wieder so findet: Solidarität, Gemeinwohl, die Bedeutung von Frieden und sozialer Gerechtigkeit. In der Gesellschaft, in der ich heute lebe, spielen diese Werte kaum noch eine Rolle, sondern vor allem die Bedürfnisse und Wünsche des Einzelnen. Das Individuum allein zählt.
Das war in der DDR anders. Sicher war vieles aufgezwungen. Böse Zungen nannten das Kellergemeinschaft. Das hieß, dass man nur zusammen gut überleben konnte. Geld war dabei ziem lich unwichtig: Aus einer Kellergemeinschaft kann man nicht raus, muss aber miteinander umgehen und sich aufeinander verlassen. Die Menschen in der DDR waren deshalb anders, und viele von ihnen sind immer noch anders.
Als die Mauer fiel, war ich erst 15 Jahre alt und musste schmerzhaft erfahren, was für ein Land mein Land war, die DDR. Dennoch hat es mich auch zu der gemacht, die ich heute bin.
Unsere Grundschule, sie hieß bei uns Polytechnische Oberschule (POS), ging von der 1. bis zur 10. Klasse. Ich habe die Schule geliebt, ja, ich bin gern in die Schule gegangen. Ich habe gern gelernt, war neugierig und fand es einfach interessant, von Dingen zu hören, von denen ich noch nichts wusste. Diese Einstellung hat nicht immer dazu geführt, dass ich bei meinen Mitschülern besonders beliebt war. Dazu war ich schon immer eher lebhaft und extrovertiert und – wenn man das für ein Kind sagen kann – auch von den Idealen überzeugt, die damals gelehrt wurden. Ich war überzeugt davon, dass die Ideen von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit richtig waren, als Pionier wie auch später in der FDJ. Die idealisierten Wertvorstellungen wurden in den politischen Kinderorganisationen der DDR kindgerecht formuliert und emotionalisiert. Es wurden Geschichten von Kindern in anderen Ländern erzählt, denen wir gegen Ungerechtigkeiten beistehen wollten, mit denen wir uns solidarisch fühlten. So haben wir Freiheitsbriefe für Nelson Mandela ge schrieben, in der Klasse Weihnachtspäckchen für bedürftige Kin der in anderen Ländern gepackt, Solidaritätsbasare veranstaltet. Und wir zitterten alle in der Libyenkrise, als wir Angst hatten, dass die USA gegen Libyen in den Krieg zieht. Damals.
Mit Michail Gorbatschow kam plötzlich die große Veränderung. Auf einmal wurde sehr viel offener und härter diskutiert, wenn auch eher in den elitären Kreisen – so will ich sie jetzt mal nennen – der FDJ.
Im Vergleich zu den Jahrzehnten davor war die Situation für uns ja schon sehr viel offener geworden. Man hat Westfernsehen geguckt, Westradio gehört und man hat viel mutiger miteinander diskutiert. In den Theatern wurde aktuelle Politik reflektiert, klassische Operntexte wurden vom Publikum aktuell politisch interpretiert und mit Szenenapplaus begleitet. Wir waren im Vergleich zu den Sechzigern schon sehr viel weiter.
Bestand jetzt, mit Gorbatschow, nicht endlich die Möglichkeit, die DDR von innen heraus zu erneuern, die Verlogenheit abzuschaffen, konstruktive Kritik zu üben, den Filz zu durchbrechen und etwas Neues zu schaffen, dabei aber die Grundidee des Sozialismus zu erhalten? Gorbatschow machte solche Hoffnungen möglich. Es gab damals eine Reihe von Leuten, die so dachten, eine neue junge Generation, alle um die 15 bis 18 Jahre. Zu diesen Leuten gehörte ich.
Dann kamen der Sommer und Herbst 1989. Und man spürte, dass das System zerbersten würde, nichts war mehr zu halten. Ausreisewelle, Montagsdemonstrationen, Mahnwachen in Berlin, man traf sich auf der Straße, in den Kirchen, man kam ins Gespräch, auch mit der Gegenseite, der Partei oder der Armee. Der 7. Oktober mit den zahlreichen Verhaftungen und dann die große Demonstration in Berlin am 4. November: Es war eine Abrechnung der Menschen mit dem System, in dem sie lebten. Ein großes Aufbegehren und eine Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung. Kurz danach fiel die Mauer.Und alles war anders. Das Land, in dem ich groß geworden war, verschwand immer mehr.
Ab 1990 besuchte ich dann die Erweiterte Oberschule (EOS), das Gymnasium. Dort fand
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