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Das Leben ist groß

Das Leben ist groß

Titel: Das Leben ist groß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Dubois
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die Schulter, wo die Abbruchkante seines Schlüsselbeins unter dem Hemd verschwand.
    »Irgendwann, wenn sie sicher sein können, dass deine geistigen Reserven aufgebraucht sind, laden sie dich auf ein kleines Pläuschchen ein. ›Es liegt ganz bei Ihnen‹, sagen sie. ›Wollen Sie Kaffee, Tee, Fleisch vielleicht? Sollen wir welches besorgen? Vielleicht können wir Zivilkleidung für Sie auftreiben. Dieser Ukrainer bei Ihnen im Zimmer – wissen Sie eigentlich, wie sehr er die Russen verachtet? Sie haben gute Heilungschancen, Mischa. Die anderen nicht, aber Sie, Sie sind was Besonderes.‹ Und dann führen sie dich aus, und du erzählst ihnen das eine oder andere, vielleicht auch das eine oder andere über deinen Mitbewohner, und was du sagst, mag wahr sein oder auch nicht, das kümmert dich längst nicht mehr. Alles, was dich noch interessiert, ist die versprochene Tasse Tee. Die ist der Höhepunkt deiner ganzen Woche. Du wartest darauf wie ein Schulmädchen auf ihren Liebsten. Wie ein Hund auf das Glöckchen.
    Als ich dann also entlassen wurde – an einem Dienstag, ganz ohne Vorwarnung; sie gaben mir nur meine Anziehsachen und ein Entlassungsformular und keine Antworten auf meine Fragen –, klammerte ich mich an meinem Bettgitter fest. Es war kurz nach dem Mittagessen, müsst ihr wissen, und ich hatte mich schon so auf meine Tablette gefreut. Also vergebt ihr mir hoffentlich, wennich euren Bemühungen und eurer Diskretion gegenüber ein bisschen skeptisch bin. Bei allem Respekt, Wanja.«
    Alexander wartete ab, was Nikolai und Iwan tun würden. Nikolai stürzte seinen letzten Schluck Wodka herunter. Iwan drückte mit beiden Händen Mischas Schultern, als wollte er ihm eine Art atheistische Segnung angedeihen lassen, und ließ wieder los.
    »Tja«, sagte er, »ich glaube, ich verstehe, was du meinst.«
    Eine Woche darauf, in Iwans Wohnung, zwischen hohen Stapeln matt glänzenden Kohlepapiers, erzählte Alexander Iwan, was Elisabeta gesagt hatte, und Iwan sagte, er solle sich keine Sorgen machen. »Ganz einfach«, sagte er. »Wenn sie uns kriegen wollen, kriegen sie uns.«
    Mischa war bei seiner Mutter eingezogen, die bei seinem Anblick geweint und versucht hatte, alle Kartoffeln zu kaufen, die auf dem Markt zu bekommen waren. Ein paar Tage lang hatten sie die Arbeit an der nächsten Ausgabe ausgesetzt. Nikolai und Iwan hatten nervös und deprimiert in der Wohnung herumgehockt. Alexander hatte in einer Ecke so getan, als spiele er Schach gegen sich selbst, und in Wirklichkeit insgeheim an Elisabeta gedacht. Nach einer Woche war Iwan aufgestanden, hatte sich selbst ein paar kleine Ohrfeigen verpasst und gesagt, genug sei genug. Sie müssten weitermachen, hatte er gesagt, und sei es nur, weil sie nichts Besseres vorhatten.
    Gerade spannte Iwan wieder Kohlepapier in die Schreibmaschine ein und machte die nächsten Kopien der Ausgabe. Diese Arbeit erforderte Konzentration, doch Iwan ließ sich selten daran hindern zu reden. »Sie haben wahrscheinlich andere Probleme. Und größere Exempel zu statuieren«, sagte er. Die Schreibmaschine stieß ein knarrendes Wiehern aus. »Scheiße, verdammt.« Er zerrte das ruinierte Papier aus der Maschine, warf es in hohem Bogen in den Müll und blickte zu Alexander, der auf einem Bücherstapel saß und mit einem Zeh Natascha kraulte. »Ich weiß wirklich nicht, wofür ich dich bezahle.«
    »Du bezahlst mich gar nicht.«
    »Ach, richtig. Wird wohl seine Gründe haben.« Iwan spannte neues Papier in die Maschine und tippte wieder rasch und rhythmisch drauflos, als spielte er eine Sonate. »Wer hat dir das überhaupt erzählt?«
    »Elisabeta. Eine Freundin von mir. Was ist? Sie wohnt in meiner Kommunalka … Was??«
    »Eine … Freundin?«
    »Mitbewohnerin. Sagte ich doch schon.«
    »Gibt es da etwas, das du mir sagen willst, Sascha?«
    »Nein.«
    Iwan strahlte vor Vergnügen, und Alexander wusste, dass das ein schlechtes Zeichen war. »Du hast doch hoffentlich die jüngste Berichterstattung zum Thema Geschlechtsverkehr in der Sowjetunion mitverfolgt.«
    Alexander schüttelte kläglich den Kopf.
    »Nein? Wie konntest du das verpassen? Es stand in allen Zeitungen. Die Partei hat herausgefunden, dass unehelicher Sex Impotenz, Neurosen und Frigidität verursacht. Und die Partei hat die empfohlene maximale Gesamtdauer des Geschlechtsakts auf zwei Minuten festgesetzt. Ich würde dir dringend empfehlen, dich mit diesen Erkenntnissen zu befassen, bevor du deine Freundin näher

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