Das Leben ist zu kurz für Knaeckebrot
Gegenteil von Geistesabwesenheit. Um den Unterschied
zu erklären: Sie kennen vielleicht Situationen, in denen wir völlig »weggetreten« Dinge tun, zum Beispiel essen. Wir öffnen eine Packung Kekse und genießen den ersten, den zweiten. Wir nehmen uns eine Zeitung oder ein Buch und lesen. Nach einer Stunde »wachen wir auf« und sehen die leere Keksschachtel neben uns. »Wer hat die ganzen Kekse gegessen?« Wir haben nicht gemerkt, wie wir die Schachtel geleert haben - wir haben aber auch nichts geschmeckt, nicht genossen. Das ist Geistesabwesenheit.
Ellen Langer meint nun, dass das Lebensziel sein sollte, geistesgegenwärtig zu sein: Sehen, was ist, hören, was ist, riechen, schmecken - ganz allgemein wahrnehmen, was wir tun. Sie bittet Menschen, morgens ihren Orangensaft nicht einfach hinunterzuschütten, sondern ihn zu schmecken, sich die Frage zu stellen: »Ist dieser Saft wirklich, was ich trinken will? Oder will ich etwas anderes? Was will ich dann? Und woher bekomme ich es?« Oder sie bittet Menschen, morgens auf dem Weg zur Arbeit statt nach rechts einmal nach links abzubiegen, dadurch überhaupt die Straße zu erkennen, die ansonsten - mit den Augen auf das Pflaster »geheftet« - hinuntergetrottet wird.
Ellen Langer ist davon überzeugt, dass diese Geistesgegenwart uns näher zu einem gesunden Leben führt als alle Programme, die uns jemand anderer vorschreibt. Sie empfiehlt sogar eine »geistesgegenwärtige Gesundheit«: » Mindful Health dreht sich nicht darum, richtig zu essen, Sport zu machen oder medizinischen Empfehlungen zu folgen, aber auch nicht darum, dies alles abzulehnen. Sie dreht sich nicht um New-Age-Medizin oder um ein traditionelles Verständnis von Krankheit. Mindful Health dreht sich darum, unser Hirn von einengenden Einstellungen zu befreien und den Grenzen, die sie unserer Gesundheit und unserem Wohlgefühl
setzen, und zu erkennen, dass wir selbst die Hüter (Guardians, wie sie sagt) unserer eigenen Gesundheit sind.« 34
Dieses Verständnis von Gesundheit ist meiner Meinung nach revolutionär. Es führt uns aus Experten-Hörigkeit heraus, aber auch aus Trotz, Schuld, Stress und schlechtem Gewissen. (Wussten Sie, dass die Hälfte aller Patienten ihre Medikamente, die sie vom Arzt verschrieben bekommen haben, nicht oder gegen die Vorschrift nehmen?) Mental Health kann dicken Frauen die Freiheit und die Verantwortung für ihren Körper zurückgeben. Die geistesgegenwärtige Gesundheit richtet sich nicht gegen irgendetwas oder jemanden, sondern sie öffnet Ihnen die Welt hin zu Ihrem eigenen Erkennen und eigenen Handeln.
Zwei interessante Studien hat die Psychologin Ellen Langer mit ihrem Team zum Thema Mindful Health gemacht:
1979 hat sie männliche Bewohner eines Altersheims um die 80 Jahre eine Woche in einem Haus betreut, das wie im Jahr 1959 eingerichtet war. Sie hat den Männern gesagt, sie sollten sich so verhalten, wie sie sich vor 20 Jahren gefühlt haben. Nach dieser einen einzigen Woche hatten die Männer erstaunliche Veränderungen aufzuweisen:
› die Gelenke sind beweglicher geworden
› die Finger sind »länger« geworden, weil ihre Arthritis zurückgegangen ist und sie ihre Finger weiter haben ausstrecken können
› die Geschicklichkeit ihrer Hände hat sich gebessert
› in Intelligenztests haben 63 Prozent besser abgeschnitten als vor dem Experiment
› ihr Gang ist kraftvoller geworden
› ihre Körperhaltung hat sich gebessert
› sie sind etwas größer geworden
› und sie haben - bei älteren Menschen oft ein gutes Zeichen - Gewicht zugelegt.
Ellen Langer sagt zu dieser Studie: »Sie hat nicht nur meinen Blick aufs Altern verändert, sondern ich glaube seither immer weniger, dass Biologie Schicksal ist. Es ist nicht unsere Physis, die uns vor allem einschränkt, sondern unser Denken über die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit.«
In einer anderen Studie, gemeinsam mit der Psychologin Judith Rodin, hat Ellen Langer Frauen in Altersheimen psychologisch untersucht: Diesen Frauen hatte man über-fürsorglich alle Lasten und Pflichten abgenommen, sie lebten rundum versorgt wie die Zimmerpflanzen - aber nicht einmal ihre Blumen gießen durften sie selbst. Solch ein Leben ist Mord auf Raten, stellten die Psychologinnen fest.
Denn einige Frauen, für die Langer und Rodin durchsetzen konnten, dass sie zumindest die Blumen in ihren Zimmern »eigenverantwortlich« gießen durften und auch sonst weitere kleine einfache Pflichten übernommen haben, lebten
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