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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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geschlossenen Augen da. Ich sah, dass sie die Hand um den Piepser gekrampft hatte. Ob sie atmete oder nicht, konnte ich nicht sagen.
    Ich ging rückwärts hinaus und ließ die Tür hinter mir zufallen. Mein Herz pochte heftig. Eine dicke Frau in rosa Uniform kam den Korridor herunter.
    »Hier drin«, sagte ich.
    »Sind Sie Mrs. Browns Nichte?« Sie schien den piependen Alarm nicht zu bemerken. »Eigentlich bin ich ...«
    »Ich hoffe, Sie schmuggeln keine Zigaretten herein.« Sie sah mich durchdringend an.
    »Oh, nein. Keineswegs.«
    »Im letzten Heim, wo ich gearbeitet habe, hat jemand einer alten Dame eine Zigarette und Streichhölzer gegeben, und das ganze Heim ist in Flammen aufgegangen.«
    »Oje. Gab es Verletzte?«
    »Ein Hund hat uns alle gerettet.«
    »Wirklich?«
    »Ein Mischling«, schnaubte sie. »Und außerdem haben sie versucht, ein Getriebe einzuschmuggeln.« »Ein Getriebe? Wofür?«
    »Keine Ahnung. Jedenfalls ließ die Heimleiterin es entfernen. Sagte, es wäre nicht hygienisch.« Einen Moment wurde ihr Gesicht weich. »Es war wirklich eine Schande, der arme alte Mann. Wenigstens hat er am Ende seine Rache bekommen.« Sie gluckste. »Naja, hier ist so was nicht erlaubt. Wir haben Regeln.«
    »Äh ... ich glaube, die Dame braucht Hilfe ...«
    Doch sie war schon wieder über den Flur verschwunden. Als die Tür hinter ihr zuging, bemerkte ich eine einsame zusammengekauerte Gestalt draußen auf einer der Bänke im Regen, in einem hellblauen Morgenmantel mit passenden zehenfreien Slippern, die eine Zigarette paffte. Es war die Übergeschnappte.
    Ich klopfte an die Scheibe und winkte. Sie sah auf und winkte zurück. Aber als ich die Tür aufschob und zu ihr in den Innenhof ging, setzte sie ein schmollendes Gesicht auf.
    »Sie haben mir nie die Zigaretten gebracht.«
    »Doch«, log ich. »Aber Sie waren nicht da.«
    Sie schnaubte, als wüsste sie genau, dass es nicht stimmte. »Und jetzt suchen Sie wieder nach ihr? Nach Ihrer Freundin?« »Mrs. Shapiro. Ja.«
    »Die ist auf der Isolierstation. Darf keinen Besuch haben.« »Warum nicht?«
    »Ist wohl nicht brav gewesen, was?« »Warum? Was hat sie getan?«
    Sie drückte die Zigarette auf dem Weg aus und warf den Stummel mitten ins Gras, wo schon ein ganzer Haufen lag.
    »Geht mehr darum, was sie nicht gemacht hat. Will die Allmacht nicht unterschreiben. Weigert sich einfach. Verrückt, wenn Sie mich fragen. Die lassen sie nicht raus, bis sie unterschrieben hat.«
    »Wissen Sie, in welchem Zimmer sie ist?«
    Es hatte fast aufgehört zu regnen. Sie zog ein Zigarettenpäckchen aus der Morgenmanteltasche und spähte hinein. Es waren nur noch zwei übrig. »Nächstes Mal vergessen Sie meine Zigaretten aber nicht, ja?« »Nein, versprochen.«
    Sie steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und ließ sie einen Moment dort hängen, um die Vorfreude in die Länge zu ziehen, bevor sie die Streichhölzer aus der anderen Tasche nahm.
    »Siebenundzwanzig.«
    »Danke.«
    »Wenn sie nicht da ist, ist sie in Nummer 23 und guckt fern. Das ist mein Zimmer. Die kommen immer alle, um fernzugucken.« »Gibt es hier keinen Aufenthaltsraum?« »Doch, aber der Fernseher ist mies.«
    Mrs. Shapiros Zimmer war genauso klein wie Nummer 23, und es war genauso heiß darin, nur der Geruch war schlimmer als nach Tod, und es gab keinen Fernseher. Sie sah fürchterlich aus. Sie lag voll angezogen auf dem Bett und starrte an die Decke. Ihr Haar war wild und struppig, der graue Ansatz hatte sich zu einer Autobahn ausgewachsen, ihre Haut war lose und faltig und hatte tiefe gelbe Furchen um Mund und Kinn.
    »Mrs. Shapiro?«
    »Georgine?«
    Mühsam kämpfte sie sich auf die Füße und starrte mich an. »Wie geht es Ihnen?« Ich umarmte sie. Sie wirkte so zerbrechlich wie ein kleiner Vogel. Sie bestand nur noch aus Haut und Knochen. »Gott sei Dank sind Sie da.«
    »Es tut mir leid, dass ich nicht früher gekommen bin. Ich habe es versucht, aber sie haben mich nicht reingelassen.« »Haben Sie Zigaretten mitgebracht?« »Tut mir leid, das habe ich vergessen.«
    »Macht nichts. Gut, dass Sie da sind, Georgine. Ich will nicht hier drin sterben!«
    Sie sank auf die Bettkante und fing unvermittelt zu weinen an, ihre klapprigen Schultern bebten. Wie klein und krumm sie wirkte. Ich setzte mich zu ihr und strich ihr über den Rücken, bis sie aufhörte zu schluchzen und nur noch schniefte. Dann reichte ich ihr ein Taschentuch.
    »Wir müssen Sie nach Hause kriegen. Aber ich weiß nicht wie.«
    »Hier

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