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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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in die Augen zu sehen.
    »Füttern Sie wieder mal die Katzen?«, fragte Mrs. Goodney. Schockiert über ihre Frechheit vergaß ich zu fragen, was sie hier zu suchen hatte. Sie wandte sich an Damian und bleckte grinsend die Zähne.
    »Schön, dass Sie es geschafft haben, Mr. Lee. Der Herr brauchte eine erste Schätzung des derzeitigen Werts.«
    Der gedrungene Mann nickte. Er betrachtete das Haus mit unverhülltem Staunen, sein schiefer Blick glitt hin und her. Jetzt erkannte ich, dass er ein Glasauge hatte.
    »So ein Haus muss ziemlichen Wert haben, oder?«, sagte er. »So ein großes Haus. Gute Gegend von London. Ich bin ziemlich beeindruckt.« Sein Englisch war besser als das von Mr. Ali, ein bisschen überkorrekt, mit nur dem Hauch einer gutturalen Färbung.
    Damian nahm ein eselsohriges Notizbuch aus der Tasche und begann sich mit einem Bleistiftstummel Notizen zu machen. Er wich immer noch meinem Blick aus.
    »Nicht so viel, wie Sie meinen, leider. Es ist in einem schlechten Zustand, wie Sie sehen können.« Mrs. Goodney lächelte den Glasäugigen geziert an. »Ich habe einen renommierten Bauunternehmer einen Blick darauf werfen lassen. Er sagt, um es auf einen modernen Stand zu bringen, ist sehr viel Geld nötig. Ich zeige Ihnen den Kostenvoranschlag, wenn Sie möchten.« Der Glasäugige schniefte unzufrieden, doch Mrs. Goodney legte ihm eine feiste, goldberingte Hand auf den Arm. Mit der anderen griff sie nach Damian. »Keine Sorge. Mr. Lee wird einen guten Preis festsetzen. Nicht wahr, Mr. Lee?« Damian nickte und kaute an seinem Bleistift.
    »Das tun Sie also für Ihre fünftausend, Damian?«, zischte ich. Er ignorierte mich und kaute weiter.
    »Sieht aus, als wären hier schon Handwerker am Werk. Pfuscher, das sieht man gleich.« Ihr Blick war auf das Plastikfenster im ersten Stock gefallen.
    »Das ist kein Pfuscher«, platzte ich heraus. Sie starrten mich an. »Er ist...«
    Im nächsten Moment glitt ihr Blick an mir vorbei. Ich drehte mich um. Dort stand Mrs. Shapiro, und hinter ihr Nabil und Ismael.
    »Hallo, Mrs. Shapiro«, kreischte Mrs. Goodneys Stimme mit falscher Fröhlichkeit. »Was machen Sie denn hier, meine Liebe? Sie sollten doch ...« »Ich bin wieder zu Hause. Schluss mit Gefängnis.«
    »Aber Sie können nicht allein hier wohnen. Allein sind Sie in dem Haus nicht sicher, meine Liebe.«
    »Ich bin nicht Ihre Liebe.« Sie streckte sich, die ganzen ein Meter fünfzig, schob kämpferisch das Kinn vor und sah der Frau vom Sozialdienst in die Augen. Ihre Wangen waren immer noch rot von den Aufregungen des Vormittags. »Ich habe meine Betreuer. Ich beantrage Betreuungsgeld.«
    Die jungen Männer hinter ihr ließen Augen und Zähne aufblitzen. Violetta, die anscheinend Mussorgski hinterhergeschlichen war, rieb sich an Mrs. Shapiros Beinen und schnurrte. Dann machte sie plötzlich einen Buckel und fauchte Mrs. Goodney an, die beinahe - ich sah es an ihrem Gesicht - zurückfauchte.
    Auf einmal trat der glasäugige Mann vor und sah Mrs. Shapiro mit seinem irritierenden Blick an.
    »Ella? Sie sind Ella Wechsler?«
    Mrs. Shapiro wich zurück. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, doch ich hörte, wie sie kehlig nach Luft schnappte. »Sie irren sich. Ich bin Naomi Shapiro.«
    »Sie sind nicht Naomi Shapiro.« Seine Stimme war rau. »Das war meine Mutter.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Mrs. Shapiro drängte sich an mir vorbei, griff nach der Tür und schlug sie zu.
     
    Eine halbe Stunde lang weigerten sie sich zu gehen. Wir standen zu viert in der frisch gestrichenen Eingangshalle und hörten, wie sie klingelten und am Briefschlitz rüttelten. Dann gingen sie um das Haus herum und hämmerten an die Küchentür. Irgendwo in der Tiefe des Hauses begann Wonder Boy zu jaulen. Irgendwann gaben sie es auf.
    Ich blieb so lange, bis ich ganz sicher war, dass die Luft rein war. Dann ging ich langsam nach Hause und versuchte zu verstehen, was passiert war. Er musste der Sohn der echten Naomi Shapiro sein, das Kind, von dem sie in den Briefen schrieb,
    das zahnlose braunäugige Baby auf dem Foto - dieser gedrungene, hässliche Mann Mitte fünfzig, der einst den Idealismus und alle Hoffnungen seiner schönen Mutter verkörpert hatte. Aber wer war sie? Und wie hatte ihn Mrs. Goodney gefunden? Vielleicht hatte ich deshalb keine Dokumente im Haus gefunden - weil Mrs. Goodney vor mir da gewesen war. Sie hatte sie geholt und benutzt, um einen Geist aus der Vergangenheit heraufzubeschwören.
     
    Zu Hause ging ich ins

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