Das Leben kleben
wunderschönen Moscheen. Aber wissen Sie, Mrs. George, dass Lydda auch für Sie Bedeutung hat? Lydda ist Heimatort von Ihre christliche heiligen Georg. Nach ihm sind Sie benannt, denke ich?«
Ich wollte jetzt nicht erklären, dass ich in Wirklichkeit nach dem Labour-Politiker George Lansbury benannt war. Es war Papas Idee, und Mama fiel kein passendes weibliches sozialistisches Idol ein, um dagegenzuhalten.
»Wirklich? Der heilige Georg, der Drachentöter, kam aus Lydda?«
»Sein Bild ist über Kirchentür in den Stein gehauen.«
Süße heilige Georgina. Schaudernd dachte ich an Mark Diabeilos Gedicht. Doch Ben hatte auch von einem einäugigen Teufel gesprochen.
»Das Bild von Lydda, das im Flur hing, warum haben Sie es abgenommen, Mr. Ali?«
»Warum stellen Sie immer Fragen, Mrs. George?« Er war nicht direkt unhöflich, aber die freundliche Leichtigkeit war aus dem Gespräch verschwunden. »Alles ist gut. Sonne scheint. Ich arbeite. Alle sind froh. Jetzt kommen Sie und stellen Fragen, und wenn ich Ihnen Wahrheit sage, sind Sie nicht froh.«
»Sie wollten mir von Ihrer Familie erzählen, wissen Sie noch? Was ist in Lydda geschehen?«
Er sagte nichts. Er konzentrierte sich darauf, seine Pinsel zu reinigen. Dann nahm er einen der weißen Plastikstühle und setzte sich an den Tisch. Wonder Boy hatte sich verdrückt; ich sah, dass er direkt unter dem Baum des Drosselpärchens saß und hinauf in die Äste starrte. Ich verscheuchte ihn und setzte mich Mr. Ali gegenüber. Er schob die Pinsel beiseite, kippte sich ein wenig Terpentin auf die Hände, rieb sie aneinander und wischte sie an dem Lumpen ab.
»Sie wollen wissen? Gut. Ich werde Ihnen sagen, Mrs. George.« Er steckte den Lumpen wieder ein und verschränkte die Arme vor seinem XXL-Bäuchlein. »Ich komme aus Lydda. Ich hatte einen Bruder, der gleichzeitig geboren wurde.«
»Einen Zwillingsbruder?«
»Wenn Sie bitte mich nicht unterbrechen, erzähle ich Ihnen.« Mustafa al-Ali, der Mann, den ich als Mr. Ali kannte, war 1948 in Lydda geboren worden. So viel wusste er. Er kannte den Namen seiner Mutter nicht, auch nicht den seines Zwillingsbruders oder seinen genauen Geburtstag, doch er wusste, dass er am 11. Juli 1948 ein paar Monate alt gewesen sein musste.
»Warum, was ist an diesem Tag passiert?«
»Haben Sie Geduld. Ich werde erzählen.«
Lydda war damals eine lebhafte Stadt mit etwa zwanzigtausend Einwohnern, die über die Jahrhunderte in der fruchtbaren Küstenebene zwischen den Bergen von Judäa und dem Mittelmeer gewachsen war. Doch in jenem Sommer, dem Sommer der Nakba, füllte sich die Stadt mit Flüchtlingen aus Jaffa und kleineren Städten und Dörfern an der ganzen Küste. »Sie können vorstellen, wie alle durcheinander waren, alle von Vertreibung und Massakern geredet haben.«
Eines späten Vormittags im Juli, als es heiß und still war und selbst die Katzen und Spatzen verschwunden waren, um sich ein Plätzchen im Schatten zu suchen, erklang über den Dächern plötzlich das Brüllen von Motoren. Die Menschen blickten auf und sahen eine Fliegerstaffel, die niedrig am schimmernden Himmel flog. Dann begannen die Explosionen. Eine nach der anderen, als die Flugzeuge ihre Bomben über dem verschlafenen Städtchen abwarfen. Häuser, Geschäfte, Moscheen, Marktstände. Eine nach der anderen nach der anderen. Es gab keinen Ausweg. Keine Schutzräume. Keine Flugabwehrwaffen. Die Menschen rannten durcheinander wie Ameisen. Manche wurde getroffen und fielen auf der Straße. Manche starben unter den Trümmern. Manche hockten still in einer Ecke, zogen die Köpfe ein und beteten.
»Doch die eigentliche Absicht war nicht töten«, fuhr Mr. Ali fort und sah mich starr an. »Sie wollten uns vertreiben, mit Terror.«
Am nächsten Tag, als die Menschen aus den Trümmern krochen, um sich den Schaden anzusehen und ihre Toten zu begraben, rollte mit hoher Geschwindigkeit ein Bataillon mit aufmontierten Maschinengewehren in die Stadt ein. Zuerst dachte man, die jordanische Armee sei zur Verteidigung angerückt, doch plötzlich knatterten die Maschinengewehre los, alle gleichzeitig, mit blitzenden Rohren, und die Kugeln prasselten in alle Richtungen. Männer, Frauen und Kinder wurden niedergeschossen - rund zweihundert Menschen starben auf den Straßen. Die anderen flüchteten in Todesangst.
»Sie können alles in Ihre Internet nachlesen, Mrs. George. Amerikanische Zeitungen haben berichtet. Blitzkrieg. Gnadenlos erfolgreich. Leichen voll mit Kugeln am
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