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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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und bei unserer letzten Begegnung nach meinem Workshop in Simbabwe, im Jahr zuvor, war sie mir dünner vorgekommen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich während meines letzten Urlaubs nicht nach Kenia geflogen war, sondern mit Akinyi nach Griechenland. Die Scheidung, der Umzug und die verschiedenen Jobs hatten mich erschöpft, und ich hatte Abstand von allem gebraucht.
    Nach einer Viertelstunde wählte ich noch einmal die Telefonnummer, die Ben mir gegeben hatte. Als er mich hörte, verband er mich sogleich mit dem Arzt.
    »Meine Schwester ist am Apparat«, hörte ich ihn noch sagen, und dann drang eine fremde, etwas erschöpft klingende und leicht gereizte Stimme an mein Ohr.
    »Hallo, ich bin Auma«, stellte ich mich vor. »Wie ich erfahren habe, behandeln Sie meine Mutter Kezia.«
    »Ja, sie ist seit ein paar Tagen hier bei uns in der Klinik.«
    »Können Sie mir sagen, was mit ihr nicht stimmt?« Ich hielt den Atem an. Ich wollte es nicht wirklich wissen, wollte der Unruhe und der unvermeidlichen Verantwortung für das, was jetzt vielleicht auf mich zukam, aus dem Weg gehen.
    »Genau können wir es nicht sagen, aber es sieht so aus, als würde mit ihren Nieren etwas nicht stimmen.«
    »Ihre Nieren? Was meinen Sie damit?«
    Der Arzt beschrieb mir die Symptome meiner Mutter, sprach über die ärztliche Diagnose und wie kritisch ihr Zustand sei. Er wolle mir zwar keine Angst einjagen, sagte er schließlich, aber am besten wäre es, ich käme sofort.
    Als ich wieder Ben am Apparat hatte, erklärte ich ihm, dass wir unbedingt eine zweite Meinung bräuchten. Ich würde ihm heute Abend die Adresse eines anderen Mediziners geben, zu dem er unsere Mutter bringen solle. Zudem kündigte ich ihm an, dass ich bald nach Hause kommen würde. Dabei wusste ich noch gar nicht, wie ich die Reise bezahlen sollte. Und dann fiel mir noch etwas ein.
    »Weiß Abongo Bescheid?«
    »Ich habe versucht ihn zu erreichen, aber bis jetzt hat es nicht geklappt.«
    »Okay, ich werde es auch probieren. Jetzt muss ich Schluss machen, bis heute Abend.«
    Meine Gedanken überschlugen sich, als ich an meinen Arbeitsplatz zurückging. Ich hatte wahnsinnige Angst, dass es mit meiner Mutter zu Ende gehen könnte. Ich sah mich schon als Waise – auch in meinem Alter brauchte ich meine Mutter, und Akinyi sollte ihre Großmutter, die sie gerade erst kennenlernte, nicht so früh verlieren. Ich hatte ihr Luo beigebracht, sodass sie sich mittlerweile problemlos mit allen kenianischen Verwandten verständigen konnte.
    Ganz gleich wie die zweite ärztliche Untersuchung ausfiel, ich wusste, dass ich zu meiner Mutter fliegen würde. Nur so konnte ich sicherstellen, dass alles Nötige für sie getan wurde.
    Um sämtliche Ausgaben finanzieren zu können, lieh ich mir schließlich eine Summe bei meiner Bank, denn nicht nur die Flugtickets von Akinyi und mir mussten bezahlt werden, sondern ebenfalls das Krankenhaus. Ben hatte kein Geld, und er hatte auch keine Ahnung, wer ihm welches geben konnte. Enttäuscht fragte ich mich, wo denn jetzt die vielen Brüder und Schwestern meiner Mutter waren.
     
    »Schaut euch das an!«, rief Harris. Wir hatten uns alle um seinen Computer geschart. Er war der Einzige, der es wagte, während der Arbeitszeit im Internet zu surfen. Wahrscheinlich, weil er am längsten von uns allen Projektmanager war und gewissermaßen zum Establishment gehörte.
    »Wer erfindet denn so ein makabres Spiel?«, fragte einer der Mitarbeiter. Auf dem Bildschirm war eine BBC -Nachrichtenseite geöffnet, auf der ein Videofilm ein Flugzeug zeigte, das soeben in ein Hochhaus gerast war. Bei dem Gebäude schien es sich um einen der Zwillingstürme im New Yorker Finanzviertel zu handeln.
    »Das ist kein Spiel«, sagte Harris plötzlich sehr ernst und las den Begleittext laut vor. Gleichzeitig beobachteten wir entsetzt, wie ein zweites Flugzeug in den anderen Turm raste.
    »Oh mein Gott! Das kann doch nicht wahr sein!«, rief jemand. Wir Übrigen starrten stumm auf den Bildschirm und konnten nicht fassen, was sich vor unseren Augen abspielte. Das musste irgendeine digitale Animation sein, ein übler Scherz, den ein gelangweilter Computerfreak ins Netz gestellt hatte, um die Welt zu schockieren. Aber wozu sprangen all diese Leute aus den oberen Stockwerken der beiden Türme? Und was bedeutete die Aufregung unten auf der Straße? Hilflos verfolgten wir das grauenvolle Geschehen, das sich, wie wir später erfuhren, ungläubige Augen auf der ganzen Welt

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