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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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Gespräch nicht die Unterstützung anderer Familienmitglieder bräuchte? Schon aus diesem Grund akzeptiere ich Ihre Diagnose und Ihren Entschluss nicht. Das werde ich auch Ihren Vorgesetzten sagen.«
    Ich hatte ohne Punkt und Komma geredet, fast in einem Atemzug, mit Wut und Verzweiflung in der Stimme. Der Arzt wollte gerade antworten, doch bevor er etwas sagen konnte, stand ich auf und verließ das Zimmer.
     
    Ben war mit meiner Mutter nach England gekommen, und jetzt hatte er seinen Aufenthalt verlängert, sodass wir uns zu zweit um meine Mutter kümmern und dafür sorgen konnten, dass sie die bestmögliche Behandlung erhielt. Dazu wurden wir von Verwandten und Bekannten unterstützt, und ich staunte doch sehr, als ich erfuhr, wie viele von ihnen in London lebten. Trotz der beunruhigenden Situation ergab sich dadurch für mich die Gelegenheit, sie kennenzulernen. Nachdem ich mehrere Jahre in der Abgeschiedenheit von Bracknell verbracht hatte, war das sehr schön. Die Krankheit meiner Mutter brachte uns alle enger zusammen, wir trösteten uns gegenseitig und tauschten uns über unser Leben in England aus. Über Einsamkeit konnte ich mich in dieser Zeit nicht beklagen.
     
    In all diesen Wochen und Monaten war ich weiterhin mit Marvin in Verbindung geblieben. Einmal hatte ich ihn sogar in Windsor treffen können, als er auf einem seiner Flüge einen längeren Zwischenstopp in England hatte. Sosehr ich mir auch wünschte, mit ihm zusammen zu sein, mein Stolz erlaubte es mir nicht, Vorstöße in diese Richtung zu wagen, und so verharrten wir in einer Distanz, die für mich qualvoll war. Umso überraschter war ich, als er eines Tages anbot – meine Mutter lag noch in der Londoner Klinik – nach England zu reisen, um an meiner Seite zu sein.
    »Ich habe im Moment nicht viel zu tun, und ich bin sicher, dass du Unterstützung gebrauchen könntest. Wenn du willst, komme ich.«
    Natürlich wollte ich! Kein Tag verging, an dem ich nicht an ihn dachte, trotz allem, was mich beschäftigte und belastete. Kein Tag verging ohne die schmerzliche Hoffnung, dass auch er sich nach meiner Nähe sehnte.
    Ich erklärte ihm, wie schlimm es um meine Mutter stand. »Die Ärzte fürchten, dass sie nicht überlebt.«
    »Bin schon unterwegs«, antwortete er. »Halt die Ohren steif.«
    Ich war dankbar für seine Aufmunterung. Genau das brauchte ich jetzt. Und eine Schulter, an die ich mich lehnen konnte. Nach diesem Telefonat sah ich endlich wieder Licht am Ende des Tunnels.
    Bald nach unserem Gespräch traf Marvin in England ein. Zusammen saßen wir täglich am Krankenbett meiner Mutter – sie hielt den Unbekannten offenbar für irgendeinen Freund, ich ließ sie in dem Glauben. Zwischendurch unternahmen Marvin und ich lange Spaziergänge am Ufer der Themse. Die Spannung der vergangenen Monate fiel von mir ab, während wir am Wasser entlangschlenderten, und für eine kurze Zeit stellte sich das wohltuende Gefühl ein, die Sorge um meine Mutter nicht allein tragen zu müssen. Marvin half mir, Entscheidungen zu treffen, und wenn der Druck zu groß wurde, weinte ich mich an seiner Schulter aus. Es gelang ihm sogar, mich zum Lachen zu bringen. Und eines Abends nahm er mich mit in einen Salsa-Club, denn mittlerweile wusste er, wie gern ich tanzte.
    Aber so wunderbar es auch war, Marvin bei mir zu haben, sein Besuch hatte für mich einen bitteren Beigeschmack. Obwohl er mich ganz offensichtlich mochte – sonst hätte er ja nicht den langen Weg zu mir zurückgelegt –, schien es ihm nicht schwerzufallen, sich wieder auf den Weg in die Staaten zu machen.
     
    Wie durch ein Wunder konnte meine Mutter nur wenige Tage nach meinem Gespräch mit dem Arzt von ihrem Dialysegerät befreit werden. Sie war über den Berg und es war nun möglich, sie nach Wexham zurückzuverlegen, auf eine normale Krankenstation.
    »Ihre Mutter ist eine echte Kämpfernatur«, bemerkte eine Krankenschwester bewundernd.
    »Gott sei Dank.« Das war alles, was ich antworten konnte.
    Als meine Mutter schließlich aus der Klinik in Wexham entlassen wurde, war sie noch lange nicht gesund. Sie litt aber nicht nur unter den Folgen der intensiven medikamentösen Behandlung, sondern auch unter fehlender Gesellschaft. Die Bekannten und Verwandten aus London wohnten zu weit weg, und in der Nachbarschaft von Bracknell gab es niemanden, den sie besser kannte. Sie war vollkommen auf Akinyis und meine Unterhaltung angewiesen.
    Ihre Einsamkeit zog meine eigene nach sich. Ich ging nun nicht

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