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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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mich gefragt, wie es uns ergangen wäre, wenn mein Vater seinen Mund gehalten und sich dem Druck der damaligen Machtverhältnisse gebeugt hätte. Wäre es ihm gelungen, sein Land zu fördern, sich selbst treu zu bleiben und gleichzeitig seine Familie zusammenzuhalten? Wäre es uns besser ergangen? Aber auf diese Frage gibt es keine Antwort. Mein Vater konnte seinen Mund nun mal nicht halten.
     
    Unter den gegebenen Umständen stellten mich besonders die Schulferien auf eine harte Probe. Das Internat schloss seine Tore, und alle Schülerinnen mussten nach Hause, ob sie wollten oder nicht. Nun folgten anstrengende Wochen. Denn immer gab es in unserem mutterlosen Haushalt etwas Neues zu bewältigen. Besonders deutlich hat sich mir ein Tag eingeprägt, an dem mein Vater mit Freunden zu Hause auftauchte und mich bat, für alle ein Mittagessen zuzubereiten. Obanda war inzwischen fort, denn kurz vor ihrer Trennung von meinem Vater hatte meine Stiefmutter ihn entlassen, weil er betrunken zur Arbeit erschienen war. Und unsere Haushaltshilfe Juliana hatte sie mitgenommen.
    Ein warmes Essen besteht bei uns in der Regel aus Gemüse, Fleisch mit Soße und dem traditionellen Ugali, einem gekochten, festen Maisbrei. Gemüse und Fleischsoße brauchten nur noch aufgewärmt zu werden, das Ugali aber sollte ich zubereiten. Mein Vater wusste nicht, dass ich das nicht konnte. Und ich wagte nicht, es ihm zu gestehen.
    Erst einmal setzte ich Wasser auf, wie ich es bei Obanda und den wechselnden Dienstmädchen beobachtet hatte. Dann wartete ich darauf, dass es heiß wurde. Doch das schien endlos zu dauern – und mein Vater erkundigte sich aus dem Nebenraum schon nach dem Essen. Nervös und unsicher starrte ich auf das sich langsam erhitzende Wasser. Erneut hörte ich ihn rufen. Kurz entschlossen griff ich nach der Packung Maismehl, die nur zu einem Drittel gefüllt war, und kippte den gesamten Inhalt in das dampfende Wasser. Es sprudelte auf, Mehl spritzte aus dem Topf auf den Herd. Rasch begann ich, das Gemisch mit einem großen, flachen Holzlöffel umzurühren. Ich schob den Löffel kräftig in dem sich bildenden Brei hin und her, so wie ich mir vorstellte, dass Obanda es getan hätte.
    Nach einer Weile merkte ich, dass mein Ugali nicht fest wurde, obwohl jetzt nichts mehr sprudelte und spritzte. Dabei rührte ich schon seit geraumer Zeit. Ich stellte die Temperatur höher, vergebens. Die weiche Pampe wollte und wollte nicht fester werden. Dass das Ugali fest sein musste das wusste ich, auch wenn mir nicht klar war, wie man das hinbekam.
    »Wo bleibt denn das Essen?«, hörte ich meinen Vater abermals in scherzhaftem Ton rufen. »Wir verhungern allmählich.«
    Mir aber war alles andere als zum Lachen zumute. Vor Aufregung und Hitze stand mir der Schweiß im Gesicht. Ich kostete ein wenig von meinem Ugali, um zu sehen, ob es inzwischen gar war, aber es schmeckte nur roh. Ich überlegte, ob ich mehr Maismehl hätte hinzufügen müssen – aber die Packung war ohnehin leer.
    Schon fünfzehn Minuten waren vergangen, und ich bewegte den Löffel noch immer hin und her. Dabei dauerte es normalerweise höchstens zehn bis fünfzehn Minuten, Ugali zu kochen.
    »Wo bleibt nur das Essen, Auma?«, sagte plötzlich eine Stimme direkt hinter mir. Ich erschrak und drehte mich um. Mein Vater stand in der Tür.
    »Ich habe es gekocht, aber es wird und wird nicht fest«, antwortete ich fast weinend und zeigte auf den Topf.
    »Wieso denn das?« Mein Vater trat noch näher zu mir. »Lass mal sehen.«
    Er nahm mir den Löffel aus der Hand, dann rührte er kurz in dem schlaffen Ugali herum.
    »Wann hast du das Mehl hineingetan?«
    »Als das Wasser schon eine Weile auf dem Herd stand.«
    »Hat es gekocht?«
    »Ich glaube schon. Ich weiß nicht so genau«, antwortete ich zaghaft.
    »Wieso weißt du es nicht genau?«, fragte mein Vater irritiert. »Du musst doch wissen, was du getan hast.«
    Ich sagte nichts.
    Mein Vater hasste es, wenn man etwas gedankenlos tat. Seine eigenen Handlungen waren nur selten Resultate von Zufällen. In meinen Augen war er jemand, der stets wusste, was er tat und warum er es tat. Und er selbst schien nur schwer begreifen zu können, dass andere Menschen manchmal etwas Unüberlegtes anstellten, etwas, was sie nicht unbedingt erklären konnten.
    »Hat das Wasser gekocht, als du das Maismehl hineingeschüttet hast?«, wiederholte er seine Frage etwas sanfter.
    Ich sagte immer noch nichts und schaute zu Boden. Ich fühlte mich

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