Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
Vom Netzwerk:
einfach an mir vorbei. Als Nächstes sprach ich einen älteren Herrn an, der langsamer ging als seine Vorgängerin. Als er ungefähr auf meiner Höhe war, sagte ich, diesmal etwas lauter:
    »Entschuldigen Sie bitte! Können Sie mir helfen, bitte?«
    Zu meiner Erleichterung blieb der Mann stehen.
    »Wie kann ich Ihnen denn helfen?«, fragte er lächelnd.
    Er hat mich verstanden, jubelte ich innerlich. Bisher hatte ich nur beim Rollenspiel in der Schule Deutsch mit einer anderen Person gesprochen, eine ziemlich stressfreie Übung, bei der ich immer wusste, dass ich zur Not auf die englische Sprache ausweichen konnte. Dies hier aber war kein Rollenspiel. Ich musste ganz real nach Saarbrücken gelangen. In meinem Gedächtnis suchte ich nach dem deutschen Wort für »information desk« . Aber es wollte mir einfach nicht einfallen. Der Mann schaute mich geduldig an.
    »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, wiederholte er.
    »Ähh … information desk , bitte?«, stotterte ich. »Bitte, Information. Zug?«
    So ein Mist, dachte ich ärgerlich. Hier war jetzt einer, der mir beistehen wollte, und mir fielen die richtigen Worte nicht ein. Plötzlich hatte sich mein bisschen Deutsch in Luft aufgelöst. Wie oft hatten wir solche Dialoge im Unterricht geübt! Eigentlich hätte ich ganze Reiseszenen auswendig rezitieren können, mit sämtlichen Fragen und Antworten.
    »Do you want to take a train?« Gott sei Dank, der Mann sprach Englisch, zwar mit starkem deutschem Akzent, aber ich verstand ihn. Noch war nicht alles verloren.
    »Yes please!« , antwortete ich erfreut. »To Saarbrücken. I need the information desk.« Der Mann lächelte. »Den Informationsstand.«
    Er nahm mir mein Gepäck ab und sagte: »Follow me. I will show you where it is.«
    Während wir zum Schalter marschierten, fielen mir Stück für Stück die Begriffe wieder ein: Auskunft, Bahnhof, einmal hin und zurück, eine einfache Fahrt nach Saarbrücken … Leise sagte ich mir Worte und Wendungen beim Gehen auf. Am Informationsstand wollte ich endlich demonstrieren, wie gut ich Deutsch konnte.
    Dort angelangt, erklärte mein Begleiter dem diensthabenden Mann, noch bevor ich überhaupt den Mund aufmachen konnte, ich müsse nach Saarbrücken und bräuchte eine passende Zugverbindung. Die erste richtige Chance, mein Deutsch vorzuführen, war futsch. Aber immerhin: Ich hatte fast alles verstanden, was er gesagt hatte. Als der Beamte sich auf Deutsch an mich wandte, schaltete sich der hilfsbereite ältere Herr ein:
    »Sie erklären es ihr am besten auf Englisch. Sie kann kein Deutsch.«
    Sofort wollte ich protestieren. Wo mir doch gerade wieder alle Wörter einfielen! Stattdessen lächelte ich höflich und schwieg. Der Mann am Schalter erklärte mir den Weg zum Bahnhof, der ebenfalls im Flughafen lag, und wie ich mir dort eine Fahrkarte kaufen und alle weiteren Reiseinformationen beschaffen konnte. Nachdem ich die Anweisungen sicherheitshalber dem hilfsbereiten älteren Herrn gegenüber, der immer noch neben mir stand, wiederholt hatte, zeigte dieser auf ein Schild, auf dem ein Zug, das Wort »Bahnhof« und ein Pfeil abgebildet waren.
    »Everything is okay now?« , fragte er freundlich. Ich nickte und bedankte mich auf Deutsch. »I must go now«, sagte er noch. »Auf Wiedersehen und viel Glück!« Und damit drehte er sich um und verschwand.
    Einige Sekunden stand ich verloren neben meinem Seesack. In der kurzen Zeit hatte ich mich an den netten Herrn gewöhnt und insgeheim gehofft, er würde mich bis zum Zug bringen. Dann aber verscheuchte ich das Gefühl von Enttäuschung. Er hatte schon genug für mich getan, den Rest würde ich alleine schaffen. Ich nahm mein Gepäck und folgte dem Schild in Richtung Bahnhof.
     
    Von der Reise nach Saarbrücken ist mir nur in Erinnerung geblieben, dass ich mehrere kurze Unterhaltungen mit anderen Fahrgästen führte. Damals gab ich noch gern Auskunft und scheute mich nicht, ungewöhnliche Fragen zu meiner Person zu beantworten. Außerdem wollte ich meine Deutschkenntnisse anwenden und überprüfen, ob ich die Sprache wirklich beherrschte. Wenn etwas von diesem Tag sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt hat, so ist es das Gefühl der Freude und des Stolzes darauf, dass ich mich tatsächlich auf Deutsch verständlich machen konnte. Ich weiß noch, dass ich am Saarbrücker Bahnhof angekommen zufrieden mit mir selbst aus dem Zug stieg und gleich ein Taxi fand, das mich zur Universität brachte. Und dort gelangte ich ohne Probleme

Weitere Kostenlose Bücher