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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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alles überhaupt nicht mehr einfach. Ich spürte, wie mir die Tränen kamen. Aber ich riss mich zusammen, ging hinaus und drehte mich noch einmal zu dem Mann um: »You must have a room for me.«
    Er erwiderte nichts, sondern gab dem anderen Studenten durch ein Kopfnicken zu verstehen, er könne eintreten.
    Auf dem Flur ging ich wieder zu meinem Seesack, der noch dort stand, wo ich ihn abgestellt hatte, und setzte mich. Außer mir wartete nur noch ein einziger Student. Er schaute fortwährend auf die Uhr und zur Tür des Raumes, in dem ich gerade diese Niederlage erlebt hatte. Erst jetzt ging mir auf, dass ich noch gar nicht darüber nachgedacht hatte, wie spät es war. Plötzlich kam es mir vor, als sei ich schon eine halbe Ewigkeit unterwegs. Kenia war so weit weg. Kaum zu glauben, dass ich noch am Vorabend dort gewesen war. Zum ersten Mal stiegen Gefühle von Einsamkeit und leiser Verzweiflung in mir auf. Gerade als ich mich an den Studenten neben mir wenden wollte, sprang er auf, schaute auf seine Uhr und lief hastig den Gang hinunter.
    Nun saß ich vollkommen alleine da, entmutigt, aber fest entschlossen, nirgends mehr hinzugehen. Wohin auch? Die Saarbrücker Uni war es doch, die mich geholt hatte. Man hatte mir einen Studienplatz bewilligt und mir mitgeteilt, man werde sich um alles kümmern. Und jetzt wollte dieser Mensch in dem düsteren Raum mir zu verstehen geben, es gäbe kein Zimmer für mich. Das konnte nicht sein.
    Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr ärgerte ich mich. Und durch die Wut versiegten auch die Tränen. In diesem Moment öffnete sich die Tür, und der Angestellte des Studentenwerks trat gemeinsam mit meinem Nachfolger aus dem Büro. Er schien guter Laune zu sein, denn er lachte über irgendetwas, was der Student gerade gesagt hatte. Als er mich sah, gefror jedoch seine Miene.
    »Sie sind noch hier?«, fragte er offensichtlich verstört und schaute auf meinen Seesack. Während er nun seine Bürotür abschloss, erhob ich mich rasch.
    »Ich brauche ein Zimmer«, sagte ich ein weiteres Mal.
    Es war mir todernst mit meinem Anliegen, und mein Gesichtsausdruck sagte: Notfalls übernachte ich vor Ihrer Bürotür. Der Mann blickte auf die Uhr.
    »Ich habe schon Feierabend«, erwiderte er frustriert. Ich ahnte, dass »Feierabend« etwas damit zu tun hatte, dass er nach Hause wollte. Ich auch, dachte ich.
    Der Mann seufzte und schloss die Tür zu seinem Büro wieder auf. Ich ergriff sofort meinen Seesack und folgte ihm.
    »Ich werde sehen, was sich machen lässt. Aber ich verspreche nichts!«
    Ich setzte mich hin und schwieg. Es gab nichts mehr zu sagen. Alles, was ich brauchte, war ein Zimmer.
    Der Mann führte verschiedene Telefonate. Ich hörte gar nicht mehr hin, ich war jetzt richtig müde. Ich wollte mich nur noch hinlegen und schlafen.
    »Sie haben ein Zimmer frei? Im Wohnheim D? Wunderbar«, rief der Mann plötzlich laut ins Telefon. Seine Erleichterung war nicht zu überhören. Ich wusste zwar nicht, wo das Wohnheim D lag, aber ich war heilfroh, endlich eine Bleibe zu haben.
    Wie ich schließlich mit meinem schweren Gepäck zum Wohnheim gelangte, weiß ich nicht mehr. Das Gebäude lag auf dem Campus, nicht weit vom Studentenwerk entfernt. In Heim D half mir eine deutsche Studentin, mein Zimmer zu finden, das im Erdgeschoss des dreistöckigen Gebäudes lag. Die Studentin hieß Elke. Sie war ein bisschen größer als ich, sehr schlank und hatte langes blondes Haar, das ihr fast bis zu den Hüften reichte. Elke konnte sehr gut Englisch, und da ich müde war, sprachen wir nur noch in dieser Sprache miteinander. Ich war froh, dass der erste Mensch, mit dem ich in meinem neuen Zuhause zu tun hatte, so nett war. Damals wusste ich nicht, dass aus dieser Zufallsbegegnung eine enge Freundschaft werden würde, die bis zum heutigen Tag anhält.
     
     
     
     
     

10
     
    Als ich nach Saarbrücken kam, hieß ich Rita Auma Obama. Der Name Rita hat mir nie so richtig gefallen, vor allem, weil in meiner Familie oft gewitzelt wurde, dass es sich dabei um den Namen einer Freundin meines Vaters aus seiner Studienzeit in den USA handelte. Den habe er, so scherzte meine Großmutter gern, da er zum Zeitpunkt meiner Geburt dort lebte, in der Ferne für mich ausgesucht und meiner Mutter schriftlich vorgeschlagen.
    In Deutschland dachten nun alle Leute, ich hätte einen deutschen Vornamen und fragten mich, warum ich denn keinen afrikanischen hätte. Für mich klang das, als stellte man damit meine gesamte

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