Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Jahre älter als ich. Sie war bildhüsch, weltgewandt und wirkte auf mich immer sehr erwachsen. Während ich im Internat wohnte und in den Ferien nach Hause zu meinem Vater musste, lebte sie zusammen mit ihrer Schwester Ade und einigen anderen im Stadtteil Westlands. Dort führten sie einen eigenen Haushalt und konnten tun und lassen, was sie wollten. Die Vorstellung, niemandem gehorchen zu müssen, erschien mir sehr verlockend. Doch Trixis Dasein war nicht einfach. Neben Ade hatte sie noch acht jüngere Geschwister und half ihrer Mutter bei deren Erziehung. Eine solche Verantwortung war mir nie aufgebürdet worden.
In Trixis Wohngemeinschaft hatte jeder sein eigenes Zimmer, während Küche und Bad gemeinsam benutzt wurden. Damals wusste ich nicht, dass ich dort einen Vorgeschmack auf das bekam, was ich später in Deutschland als » WG « kennenlernen sollte.
Der Campus der Kenyatta University, auf dem ich auch wohnte, erstreckte sich über ein riesiges Gelände, das einige Kilometer außerhalb der Hauptstadt lag. Da es dort weit und breit nichts außer den Universitätsgebäuden gab, war der Ort wie geschaffen zum Lernen. Auch fand man rasch Anschluss. Ich genoss diese Zeit und schloss einige Freundschaften. Doch verlor ich in dieser Zeit nie den Wunsch aus den Augen, ins Ausland zu gehen.
Über anderthalb Jahre waren vergangen, als ich endlich vom DAAD die Stipendienzusage erhielt. Endlich sollte mein Traum in Erfüllung gehen! Ich würde die Möglichkeit erhalten, die enge Welt meiner Kindheit zu verlassen und meine Flügel auszubreiten. Und obwohl mir das Kunststudium sehr gefiel, insbesondere das Malen und Zeichnen, sagte ich mir, dass ich diese Tätigkeiten auch ohne Hochschulausbildung jederzeit betreiben könnte. Die Chance aber, in Deutschland zu studieren, würde sicher kein zweites Mal kommen.
Meine Freude über das Stipendium teilte ich nur mit wenigen Personen. Denn ich hatte Angst, dass mein Vater davon erfuhr und mich daran hinderte, es anzunehmen und nach Deutschland zu gehen.
Unsere Beziehung war schwierig geblieben; die traurigen Ereignisse der Vergangenheit standen zwischen uns und verhinderten eine Annäherung. Unsere familiäre Situation hatte sich in meinen Augen nur minimal verbessert, und ich trug ihm noch nach, dass er seine väterlichen Aufgaben – uns Geborgenheit, Stabilität und finanzielle Sicherheit zu geben – nicht erfüllt hatte.
Ich war davon überzeugt, dass er mir den Auslandsaufenthalt verbieten würde. Allein die Tatsache, dass ich ihn vor meiner Bewerbung nicht um Erlaubnis gebeten hatte, würde ihn, den strengen Vater, sicherlich verärgern. Dass ich wegwollte, lag ja nicht zuletzt an dem Wunsch, den kulturellen Zwängen und seiner Autorität zu entfliehen. Doch das hätte ich ihm nicht klarmachen können. Zumal ich das einzige Mädchen in der Familie war und er mich trotz unserer Spannungen besonders liebte.
Dass ich den Wunsch hatte, ausgerechnet Deutsch zu studieren und nicht, wie mein Vater es sich vermutlich gewünscht hätte, Wirtschaftswissenschaften, Mathematik, Jura oder Medizin, machte alles noch schwieriger. Für meinen Vater war das Erlernen einer Sprache nur Mittel zum Zweck. Als er mich einige Monate nach meiner Übersiedelung nach Deutschland besuchte, fragte er mich, was ich denn mit meinem Deutsch anfangen wolle. Die Enttäuschung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Noch bevor ich auf seine Frage antworten konnte, fügte er hinzu: »Kind, es genügt nicht, Deutsch zu können. In Deutschland spricht jeder Obdachlose unter der Brücke Deutsch. Es muss mehr dabei herauskommen.«
Jahre später musste ich meinem Vater recht geben. Die deutsche Sprache allein genügte nicht, um in Deutschland (oder anderswo) einen »vernünftigen« Beruf auszuüben. Die Fächer, die ich zusätzlich zu meinem Studium wählte – Erziehungswissenschaften, Soziologie und Kommunikationswissenschaften –, bildeten die eigentlichen Meilensteine meiner späteren beruflichen Laufbahn. Aber damals, mit meinen neunzehn Jahren, als ich das Stipendium in Händen hielt, konnte ich nur an eines denken, nämlich dass ich nicht nur in der Lage sein würde, »richtig« Deutsch zu lernen, sondern auch meine eigene Welt erweitern würde. Das genügte mir.
Doch da gab es noch eine weitere Hürde, die all meine Pläne zu zerstören drohte. Da ich nicht volljährig war, konnte ich ohne die Unterschrift meines Vaters keinen Reisepass beantragen. Nach kenianischem Recht durfte meine
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