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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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Identität in Frage. Als wolle man wissen, wer ich wirklich sei, weil man mich, die Afrikanerin, nicht mit diesem Namen in Einklang zu bringen vermochte. In gewisser Weise verstand ich diesen Zwiespalt. Auch ich selbst hatte ein wenig das Gefühl, der Name Rita verleihe mir eine falsche Identität.
    So beschloss ich ziemlich bald nach meiner Ankunft, fortan meinen Luo-Namen Auma als ersten Vornamen zu benutzen. Meine Mutter hatte ihn nach einer Verwandten gewählt, die ihr kurz nach meiner Geburt im Traum erschienen war.
    Obwohl ich mich nicht mehr Rita nannte, gab ich diesen Namen nie ganz auf. Ich betrachtete ihn als ein Geschenk meines Vaters und behielt ihn in Form der Initiale R. bei. Doch diese Erfahrung schärfte mein Bewusstsein für mich selbst als Afrikanerin. In mir wuchs ein Gefühl, stolz darauf zu sein, dass ich Kenianerin war. Abgesehen von der Aufmerksamkeit, mit der man mich in der Öffentlichkeit bedachte, weil ich anders aussah, genoss ich es, meine afrikanische Identität sozusagen neu zu entdecken und sie ganz bewusst anzunehmen. In Kenia hatte ich mir nie Gedanken über meine Identität gemacht. Warum auch? Sie war eine Selbstverständlichkeit gewesen.
    Aber nicht nur die Auseinandersetzung mit meinen Vornamen stimmte mich nachdenklich hinsichtlich meiner Herkunft, sondern auch die Beschäftigung mit Dingen wie Kleidung, Musik oder Literatur. In der Fremde bekam ich zwangsläufig ein stärkeres Bewusstsein dafür, was es hieß, Afrikanerin zu sein.
     
    Im Wohnheim hatte ich mich gut eingelebt. Mein Zimmer befand sich auf Elkes Flur, und ich hätte es gar nicht besser treffen können, denn inzwischen waren Elke und ich gute Freundinnen geworden. Wir hatten einander eine Menge zu erzählen. Ich schilderte ihr mein Leben in Kenia, erzählte von meiner heiß geliebten Großmutter, meinen Geschwistern und der Großfamilie. Elke ihrerseits erklärte mir so manches, was im Studienkolleg verwirrend erschien, an dem ich in den nächsten zwölf Monaten sprachlich und fachlich auf mein Studium vorbereitet wurde. Zudem berichtete sie von ihrer Familie, die im Gegensatz zu meiner klein war und im Kern nur aus Vater, Mutter und zwei Kindern bestand. Sie und ihre jüngere Schwester Gabi waren in einem Dorf in Bayern aufgewachsen, in dem ihre Eltern sich ein Haus gebaut hatten. Eine Zeit lang hatte Elke eine Beziehung mit einem Togolesen gehabt, den sie auch sehr geliebt hatte. Für ihn jedoch hatte von Anfang an festgestanden, dass er früher oder später wieder in seine Heimat zurückkehren würde. Sie verstand ihn, und ließ ihn gehen. Einmal besuchte Elke ihn in Togo, kam aber zurück, um ihr Studium fortzusetzen. Ich fand die Geschichte traurig – Elke hatte den Mann sehr gemocht und doch ziehen lassen. Sie erinnerte mich ein wenig an Ann Dunham, die auch einen Mann aus einer fremden Kultur geliebt hatte und diesen Mann, meinen Vater, nicht aufhalten wollte.
     
    Nie werde ich den Tag vergessen, an dem ich zum ersten Mal mit Schnee in Berührung kam (als Schülerin hatte ich nur ein einziges Mal Schnee aus der Ferne gesehen, bei einem Abenteuerausflug auf den Mount Kenya).
    Eines Morgens wachte ich auf, schaute aus dem Fenster – und mir stockte der Atem. Alles war weiß, Erde, Büsche, Bäume, Autos, Dächer, alles. Ich lief sofort zu Elke hinüber. Kräftig klopfte ich an ihre Zimmertür.
    »Mach auf, Elke. Mach auf. Es schneit!«, rief ich.
    Es war noch früh, zu früh für meine Freundin.
    »Was?«, hörte ich ihre schlaftrunkene Stimme. »Komm später …«
    Für studentische Verhältnisse war es in der Tat noch sehr früh, im Flur war alles mucksmäuschenstill. Aber ich nahm darauf keine Rücksicht und klopfte weiter. Ich wollte unbedingt hinaus in den Schnee, und zwar zusammen mit Elke.
    »Noch fünf Minuten.« Ihre Stimme klang immer noch ziemlich undeutlich.
    »Heute nicht!«, drängelte ich, das Gesicht an die Tür gepresst. »Mach auf! Bitte, bitte, mach auf!«
    Ich erhielt nur ein Grunzen zur Antwort, und ich stellte mir vor, wie sie sich ihr Kissen über den Kopf zog.
    »Elke, es schneit! Du musst aufstehen«, rief ich, jetzt etwas lauter. Endlich kam sie an die Tür geschlurft, öffnete, drehte sich um und krabbelte sofort wieder ins Bett.
    »Mensch, du weckst ja alle auf …«, murrte sie. Den letzten Teil ihres Satzes verschluckte das Federbett, unter das sie sich augenblicklich verkrochen hatte.
    »Du musst aber unbedingt mit mir nach draußen gehen.« Beharrlich versuchte ich es

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