Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Mutter, die über meine Reisepläne Bescheid wusste und mich unterstützte, den Antrag nicht allein unterschreiben. Ich war außer mir, als ich davon erfuhr. Wieso brauchte ich zusätzlich die Erlaubnis meines Vaters? Weil er ein Mann war? Wieso reichte nicht die Unterschrift meiner Mutter? Schließlich war sie eine erwachsene Frau. Die Angst vor meinem Vater ließ meine Fantasie alle möglichen Szenarien ersinnen, die alle auf das Gleiche hinausliefen: auf das Verbot, die Reise nach Deutschland anzutreten. Und das durfte nicht passieren.
Ich war fest entschlossen, das Stipendium anzunehmen, und da ich von den kenianischen Behörden keine Unterstützung erhielt, wandte ich mich an diejenigen, die es mir bewilligt hatten. Ich suchte den deutschen Kulturattaché auf und erklärte ihm meine Situation, schilderte ihm ehrlich, wie es zwischen mir und meinem Vater stand. Zum Glück hatte er ein offenes Ohr und beschloss, mir zu helfen. Er tätigte einige Telefonate, deutete an, man könne gewisse Ausnahmen machen. Er versprach, bei den richtigen Stellen dafür zu plädieren, mich als Sonderfall zu behandeln.
Und – oh Glück! – nach einigem Hin und Her und einer Reihe schlafloser Nächte erhielt meine Mutter schließlich die Erlaubnis, allein den alles entscheidenden Antrag zu unterzeichnen. Ich bekam meinen Reisepass, und der Weg nach Deutschland war frei. Erst als ich schon dort war, erfuhr mein Vater, dass ich Kenia verlassen hatte.
DEUTSCHLAND
9
Während die Maschine an Höhe verlor und dem Frankfurter Flughafen entgegenschwebte, betrachtete ich aus dem Bullauge neugierig die ordentlich aufgeteilte Landschaft unter mir. Die Grenzen zwischen den einzelnen Parzellen sahen aus wie fein säuberlich mit dem Lineal gezogen. Auch die Stadt mit ihrem Häusermeer wirkte wie ein kompaktes Ganzes, systematisch und akkurat mittels Straßen, Autobahnen und Schienen unterteilt.
Es war früher Morgen, Deutschland im Oktober des Jahres 1980 . Hatte ich Furcht vor dem, was dieser erste Tag in der Fremde bringen würde? Ich weiß es nicht mehr. Meinen ersten Langstreckenflug hatte ich immerhin gut überstanden. Abgesehen von einem Rundflug in einem kleinen Sportflieger, den ich mit etwa zehn Jahren bei einem Schulwettbewerb gewonnen hatte (ich konnte die einzelnen Bücher der Bibel auswendig benennen), war ich noch nie im Leben geflogen. Damals war mir in der schwankenden Maschine schlecht geworden, und ich erinnere mich, dass man mir eine Tablette gab, um mich und meinen Magen zu beruhigen. Jetzt aber landete ich in einem Großraumflieger auf einem unbekannten Kontinent. Ich war so neugierig und aufgeregt, dass vermutlich für die Angst, zum ersten Mal von zu Hause fort zu sein, kein Platz mehr blieb.
Das Erste, was mich auf dem Frankfurter Flughafen beeindruckte, waren seine gewaltigen Ausmaße. Daneben kam mir der von Nairobi winzig vor. Außer den Informationsständen und Check-in-Schaltern der unzähligen Fluggesellschaften gab es hier auch noch Läden, Cafés und Restaurants. Menschen liefen umher, saßen auf Bänken und an Tischen, aßen, kauften ein. Manche lagen sogar ausgestreckt auf den Sitzen, die sich in den Wartebereichen aneinanderreihten, und schliefen fest. Das verwirrende Geschehen um mich herum erinnerte mich weniger an einen Ort der Ankunft und Abreise als an ein Einkaufszentrum oder einen großen, überdachten Markt. Nur die Tatsache, dass fast alle Gepäck bei sich hatten und sich vereinzelt Abschiedsszenen abspielten, bestätigte mir, dass ich auf einem Flughafen war. Das Abenteuer hatte begonnen.
Meine nächste Etappe sollte die Bahnfahrt in das vier Stunden entfernte Saarbrücken sein. Entgegen meiner Erwartung, dass ein Vertreter des DAAD mich in Frankfurt abholen würde, war niemand erschienen. Aber man hatte mir auch lediglich gesagt, den Weg nach Saarbrücken zu finden, sei kein Problem: »Einfach zum Auskunftsschalter gehen und fragen, wo der Zug nach Saarbrücken abfährt.« Das wäre auch wirklich keine große Schwierigkeit gewesen, hätte ich mich angesichts der zahllosen Hinweisschilder, die mir überall entgegenblickten, zurechtgefunden. Die meisten aber verstand ich nicht, und die Symbole waren mir fremd. Als ich merkte, dass die Wegeweiser mir nicht weiterhalfen, versuchte ich es mündlich.
»Entschuldigen Sie bitte?«, sagte ich zu einer Frau, die sich mir eiligen Schrittes näherte. Ich hatte wohl zu leise gesprochen, sie lief
Weitere Kostenlose Bücher