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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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sich geschwind bekreuzigend – etliche Worte heraus. Dann wurden auch die anderen ernst und sahen Augenblicke lang sinnend vor sich hin. Schließlich nahm jeder seinen Blechnapf vom Feuer und löffelte die dampfende Suppe aus. Es war still. Nur das Feuer knisterte. Fast feierlich schmatzte die Runde.
    Erst nach dem Essen wurden alle lebhafter. Sie streckten sich aus auf der platten Erde. Der eine begann pfeifend ein Vogelgetriller nachzuahmen, und es wurde eine Melodie daraus. Nach und nach summten alle mit. Einer richtete sich wie neubelebt auf und rief in die Hände klatschend: »Avanti! Avanti, andiamo!« und alle folgten.
    »Cantare! Cantiamo!« verstanden wir ungefähr. Der Vogeltrillerer pfiff, einer spielte auf einer verrosteten Mundharmonika, und es erklangen, nacheinander einfallend, die merkwürdig weichen und doch so volltönenden Männerstimmen. Ergriffen lauschten wir den schmelzenden, manchmal melancholischen Liedern, die die würzige, immer kühler werdende Nachtluft durchzogen, bis unsere Mutter uns schrie.
    »Buona notte, bambino!« riefen uns die Katzelmacher zärtlich lächelnd nach und warfen Kußhände.
    Unsere Mutter murrte uns an. Sie sah uns nicht gern bei den Italienern. Wie allen bäuerlichen Naturen kamen ihr diese fremden, ungewohnten Menschen nie recht geheuer vor.
    Auch die Dorfleute wollten mit der »Katzelmacher-Bagage« nichts zu tun haben, aber der schöne nächtliche Gesang lockte doch hin und wieder einige Nachbarn herbei. Sie blieben allerdings, weit entfernt vom Feuerkreis, in der Dunkelheit stehen, lauschten und verschwanden ebenso unbemerkt wieder. Diese scheue Zurückhaltung kam auch daher, weil die Windels keinen allzu guten Ruf hatten. Man munkelte allerhand über ihr sonderbares Leben und ihre dunklen Geschäfte, von denen niemand etwas Genaues wußte. Das Anwesen verwahrloste immer mehr. Im Hause selber war es unglaublich schmutzig. Der einst ansehnliche Schmalzerstall, wo früher ein Roß und sechs Kühe gestanden hatten, war zerfallen und gähnend leer. Keine Säue grunzten mehr darin. Ein paar Hühner kratzten gackernd auf dem Mist herum, und die zwei knochenmageren Kühe kamen sich vereinsamt vor. Sie trippelten unruhig herum, brüllten hin und wieder hungrig und warfen sich dann wieder auf die schlecht ausgemistete Einstreu. Der schmale Streifen Acker und die vernachlässigte Wiese genügten nicht für das Futter. Zweifellos warf auch der Flaschenbier-Vertrieb für den Windel nicht viel ab. Wovon also, so fragten sich die Nachbarn, lebten die Leute eigentlich?
    Die Windlin, eine große, vollbusige Vierzigerin mit dunklen Kraushaaren und einem unreinen Gesicht, hatte kugelrunde, stechende Augen. Ihre Stimme klang männertief und ein wenig gurgelnd. Sie war schlampig und faul, aber herrschsüchtig, und konnte energisch kommandieren. Ihr Mann schien um gute zehn Jahre jünger als sie zu sein. Er hatte etwas Schleichendes und galt als diebisch. Er war ein mittelgroßer Mensch, robust gebaut, und ging stets etwas geduckt. Er trug halb städtische Kleidung, woran man merkte, daß er es mit der schweren Arbeit nicht hatte. Sein fettglänzendes blondes Haar war tief in die Stirn gekämmt, und die Enden seines dichten Schnurrbartes waren so dünn zusammengezwirbelt, daß sie wie Nadeln nach beiden Seiten stachen. Das runde, rotversoffene Gesicht machte einen ordinären, hinterlistigen Eindruck, und das auffallendste am Windel war, daß er fortwährend gleichsam schadenfroh grinste.
    Ins Windelhaus kam ab und zu der eine oder andere Hausierer, der Gendarm von Starnberg kaufte sich an heißen Sommertagen manchmal eine Flasche Bier, und öfter machten auch zwei oder drei unbekannte, lärmend auftretende, sogenannte »christliche« Viehhändler dort Besuch, die sich offenbar mit der Windlin ausgezeichnet verstanden. Nicht selten blieben sie über Nacht, soffen und krakeelten und kamen am andern Tag in die umliegenden Bauernhäuser, um einen Handel abzumachen. Niemand aber mochte sie, niemand kaufte von ihnen. Die großen Bauern handelten mit ihrem Vieh untereinander, ihre »Menzkühe« und Schlachtochsen bekam der Klostermaier von Aufkirchen, und die kleineren Bauern oder Häusler waren Kunden vom »Jud Schlesinger«. Den kannten sie seit langen Jahren, keiner von ihnen war jemals durch ihn zu kurz gekommen. Der Schlesinger war reell, sie achteten ihn wie ihresgleichen; viele schuldeten ihm Geld, aber er drängte nie. Und er war einer, der sein Geschäft und die Bauern verstand.

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