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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Die Bezeichnung »Jud Schlesinger« hatte nicht im geringsten etwas Herabminderndes, sie war lediglich eine Berufsbezeichnung. Weitherum war der Schlesinger beliebt, und man zollte ihm den größten Respekt.
    Aber diese neuen Händler – mein Gott!
    Statt in den Stall kamen sie in die guten Stuben getrampelt und hielten die Leute von der Arbeit ab. Ihre freche Überheblichkeit, ihre rohen Zoten und die zudringlich obszönen Scherze, die sie mit den Mägden zu machen versuchten, stießen jedermann ab. Die Bauern haßten und verachteten sie. Das brachte die konkurrenzneidigen Händler gegen den Schlesinger auf. Sie verdächtigten ihn, setzten seine Kühe herab und ließen es an vieldeutigen Drohungen nicht fehlen.
    »Der Saujud, der windige! … Der Halsabschneider!« plärrten sie. »Warts nur, einmal schnürt er euch schon die Luft ab!« Das war zuviel.
    »Was? … Jud? … Der Schlesinger ist ein reeller Mensch, basta!« schrie der Bauer. »Und ihr? Was seids denn ihr? … Ungehobelte Sautreiber! Bleibts nur beim Windel! … Vielleicht kauft euch der was ab!«
    Enttäuscht und ernüchtert kamen die Händler zum Windel zurück. Stundenlang blieben sie und fuhren bei Hereinbruch der Nacht auf einem kleinen Wägelchen zum Dorf hinaus.
    Als unsere Mutter einmal das dampfende »Sautrank« in den Stall trug, stand der Windel in der offenen Tür und grinste sie an. Er hatte sich mit Kathls Tochter, der Marie, die bei uns Magd war, unterhalten. Schnell ging er davon, da ihn die Mutter sehr ungut musterte.
    »Was hat denn der wollen?« fragte sie die Marie, die unter der Kuh saß und molk.
    »Ah, ob die Kuh vom Schlesinger ist und ob er bald wieder kommt«, warf die Marie gleichgültig hin.
    »So! … Der braucht nicht in unserm Stall herumschnüffeln!« meinte unsere Mutter und drückte die Stalltür zu.
    Es vergingen Wochen. Das Frühjahr stand klar im Himmel. Wüst wie eine Ruine sah unser Haus mit dem abgerissenen Hinterteil aus. Alles ging drunter und drüber. Kuchl und Stube waren vollgestellt, an der Heutenne über dem Stall fehlte die hintere Holzwand, und wenn wir in die oberen Kammern wollten, mußten wir über angelehnte Leitern hinaufsteigen. Jetzt wurden Mehlkammer, Backstube und Ofen eingerissen. Unsere Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen, denn das hatte sie nicht erwartet und gewußt.
    »Jaja, um Gottes willen! … Und wer backt denn jetzt? … Was wird denn aus dem Geschäft?« jammerte sie.
    »Vorläufig ist der Sommer noch nicht da und die Herrschaften auch nicht«, beherrschte sich unser Vater, der an nichts mehr dachte als an das Bauen. Um nicht wieder in Wut zu kommen, ging er schnell zu den Maurern.
    Über dem Ofen befand sich die »warme Kammer«, wo die »alte Resl« schlief. Die Maurer und Italiener hieben mit den Spitzhacken ein. Der trockene Mörtel rieselte, es staubte, ein Stück Mauer nach dem anderen fiel ein, aber immer noch stand der Zwerg auf dem freigelegten Steinboden und fuchtelte und schimpfte. Er wich nicht von der Stelle, bis der Vater hinaufstieg und ihn heruntertrug. Dabei wehrte sich die »alte Resl« heftig. Sie war so erbost, daß sie – solange gebaut wurde – jeden Tag auf die Windelwiese hinterhalb des Nachbarhauses hinausging und dort in der Sonne hocken blieb, bis wir sie am Abend gewaltsam zurückholten. Grollend fügte sie sich darein, zunächst auf dem Kanapee in der Kuchl zu schlafen. Sie war mit allen verfeindet, sogar mit uns Kindern.
    An einem Nachmittag, als es schon leicht zu dämmern begann, fuhr der »Jud Schlesinger« vor unsere Stalltüre. Er sprang von seinem Wägelchen und betrachtete eine Weile die ganze Verwüstung. Als endlich mein Vater daherkam, sagte er: »Na, Bäck, du machst dich ja jetzt ganz groß, was?«
    »Jaja, da heißt’s wieder rackern, bis ich das herausbring’, was ich da hineinsteck’«, meinte der Vater und murmelte verlegen: »Diesmal geht keine Handelschaft und – gell, Schlesinger, du siehst ja –«, er deutete auf die vielen Bauleute, »die wollen ihr Geld … Ich kann dir diesmal bloß die Hälfte geben.« Er sah dem Händler ein bißchen fragend ins Gesicht.
    »Die Hälfte? … Ja, das ist ja großartig, Bäck! … Ich hab’ gemeint, ich krieg’ nicht einmal ein Viertel!« tat der Schlesinger erstaunt und nahm eine Prise aus der Tabaksdose, die ihm Vater hinhielt. Die beiden schnupften.
    »Wart!« sagte der Vater und überlegte. »Oder willst nicht ’reingehen, dann geb’ ich dir das Geld?«

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