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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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»Nicht sterben, Mutter!« Etwas bis dahin Unfaßbares wurde uns auf einmal bewußt …
    Als später die älteren Geschwister von der Schule heimkamen, war die Stube schon wieder aufgeräumt. Unsere Mutter gab auf ihre Fragen nicht an. Sie hatte ein zerweintes Gesicht, und von Zeit zu Zeit traten immer wieder Tränen in ihre Augen, die sie geschwind wegwischte.
    Wir zwei Jüngsten spielten nicht mehr, redeten kaum einmal ein Wort, sahen nur hin und wieder auf und suchten bang ihren Blick. Einmal, als es niemand sah, streichelte sie zart, zitternd und wie beschämt über unser dünnes Haar. Eine große Wärme durchrieselte uns dabei.

Ein Mord, ein Zwerg und die Zigeuner
    Unsere Mutter tat, was sie immer zu tun pflegte, wenn sie nicht mehr ein noch aus wußte. Sie ging insgeheim zum Pfarrer Jost, um eine stille Messe »zur Verhütung eines Unglücks« lesen zu lassen. Dazu trieb sie gewiß keine eifernde Bigotterie oder etwa die Angst, der blindwütige Vater habe durch sein diesmaliges allzu lästerliches Fluchen den Zorn des Himmlischen auf Haus und Familie herabbeschworen – nein, ihr ererbter Glaube, der nun einmal zur tief eingewurzelten Gewohnheit geworden war und ihr stets den inneren Halt gab, unterschied sich im Grunde genommen gar nicht so sehr von dem der Kathl. Die schrullige Näherin war nur temperamentvoller und wie alle Grafs weit konkreter. Für sie war der Herrgott etwas so greifbar Deutliches, daß dabei die Ehrfurcht vor ihm beträchtlich litt. Dennoch war sie nicht weniger glaubensfest als unsere Mutter, die in ihrer stumpfen Demut im Allmächtigen einfach jene umfassende und ausgleichende Kraft sah, an die sich der hilfehoffende Mensch in seiner Ausweglosigkeit wandte.
    Die Kathl rechtete mit dem Herrgott, unsere Mutter ergab sich ihm. Doch obgleich sie fest verbunden mit ihm lebten, so einfach aus dem Ungefähren wandten sie sich nie an ihn. Stets hatten sie dabei etwas Bestimmtes im Auge, und zuversichtlich rechneten sie auf seine Hilfe.
    Das »Unglück«, das unsere Mutter verhütet wissen wollte, war nicht das Fluchen des Vaters, für das es schließlich Beichte und Buße gab, vielleicht auch eine plötzliche gnadenvolle Wandlung nach schwerer Prüfung. –
    Sie stand im ungemein behaglich eingerichteten, holzgetäfelten Arbeitszimmer des Pfarrers und hielt meine kleine Hand in der ihrigen. Der Kanarienvogel, dessen Bauer in der Mitte des sonnbeglänzten Fenstergewölbes hing, hüpfte lustig von Stange zu Stange und zirpte lebhaft. Wenn sein Gesang mitunter kurz abbrach, hörten wir das Kratzen der Feder, mit welcher der Geistliche die Messe notierte.
    »Ist jetzt das der Jüngste? … Der Oskarl?« wandte sich der beleibte Pfarrer mit dem phlegmatisch-gutmütigen Gesicht an uns, schob seine Brille zurecht und sah mich leicht lächelnd an.
    »Ja, von den Buben schon«, erwiderte meine Mutter, »die sind ihrer fünf. Und von den drei Mädeln ist die Anna die kleinste. Die ist noch um zwei Jahr’ jünger wie der.«
    »Soso … Also acht im ganzen? Und alle gesund?« redete der Geistliche gemütlich weiter und spielte mit den dicken Fingern an seiner dünnen goldenen Uhrkette. Geschwind maß er meine Mutter von oben bis unten.
    »Jaja, eigentlich sollten sie ja elf sein, aber die andern sind gestorben«, meinte sie und wurde ein klein wenig verlegen.
    »Und Sie? … Und der Bäcker Graf? … Sie sind auch gesund?« forschte er behutsam weiter und suchte in den Blicken meiner Mutter, daß sie noch um einen Grad unsicherer wurde.
    »Jaja, soweit schon«, antwortete sie, »einen offnen Fuß hab’ ich halt … Gesund ist Gott sei dank alles bei uns.«
    »Und im Stall geht’s auch gut? … Wieviel Stück Vieh sind denn da?« wollte der Geistliche nebenher wissen. Das gefiel meiner Mutter. Sie nannte die vier Kühe, den Rappen, die vier Säue und die Hühner und schloß: »Und im Feld, da fehlt auch weiter nichts … Viel ist’s ja nicht.«
    »Hm, ja«, machte der Geistliche, »das hört man gern. Da könnt ihr ja zufrieden sein.«
    »Ja, mein Gott, Hochwürden«, sagte meine Mutter etwas stockender und bekam ein wehes Gesicht, »die Arbeit ist mir noch nie zuviel gewesen, aber ewig der Verdruß! … Ich glaub’, ich hab’ mir nie was zuschulden kommen lassen die neunzehn Jahr’, wo wir jetzt verheiratet sind …« Ihre Augen wurden naß. Der geistliche Herr unterbrach sie nicht. Väterlich war sein Blick, ein bißchen skeptisch, ein bißchen verständnisvoll-mitleidig und sehr

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