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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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geduldig. Schmerzlich jammerte sie weiter, denn wo konnte sie denn sonst ungehindert ihr bedrängtes Herz ausschütten: »Ich hab’ geschaut, daß die Kinder richtig aufwachsen. Gespart und gerackert hab’ ich jeden Tag. Wir sind aus dem Dreck ’rausgekommen, aber jedesmal, wenn ich gemeint hab’, jetzt wird eine Ruh’ sein, da ist ihm wieder was Neues eingefallen, dem Max! … Daß er einmal zufrieden ist, das erleb’ ich nicht mehr! … Jetzt, wo man sich ein bißl hinaussieht und keine Angst mehr haben braucht, wie es weitergeht, jetzt fängt er wieder das Schuldenmachen an, nimmt Geld auf und will bauen … Grad jetzt im Frühjahr, wo die Feldarbeit kommt, und im Sommer, wo das Geschäft was einbringt! … Und sagen? Sagen läßt er sich durchaus gar nichts!«
    Sie schnaubte bedrückt auf. Der Pfarrer war aufgestanden.
    »Ja, hm«, sagte er überlegend, »da heißt es eben, sich in Geduld fassen … Viel geprüft, Bäckerin, wird viel belohnt.« Er drückte ihr die Hand.
    »Wo das noch hinführen soll, Hochwürden? Ich weiß nicht«, seufzte sie, und ihr Kinn zitterte, »so hoch hinaus! Das kann nicht gut gehen.« Mit gesenktem Kopf ging sie zur Türe hinaus. Es war klar, sie glaubte an die Vermeidung des Schlimmsten durch die göttliche Einmischung. –
    Gebaut wurde natürlich doch. Wieder hatte der Irlinger das Bankgeld beschafft, und sobald die ersten frostfreien Tage kamen, begannen die Maurer vom Fischhaber aus Starnberg mit dem Einreißen des hinteren Hausteiles und mit dem Grundausheben. Unsere Mutter schien fast verstummt zu sein. Sooft auch der Vater ihr etwas erklären wollte, sie sagte höchstens: »Du mußt es ja wissen.« Das machte ihn immer wütend, aber er beherrschte sich doch mehr. Er wurde vergrämt. Nur wenn er unter den Bauleuten stand, wenn er herumregierte, lebte sein Gesicht auf. Mit uns Kindern war er um jene Zeit ganz besonders freundlich. Den älteren erklärte er gern, wie das und jenes werden sollte. Dem Eugen gegenüber, der sich zu einem schmucken, intelligenten dreizehnjährigen Burschen ausgewachsen hatte, wurde er zuweilen fast ausschweifend redselig, weil er sich über dessen Interesse freute.
    Nach der Arbeit, wenn das Lärmen und Hämmern verstummt und die Bauleute fortgegangen waren, zog eine düstere Stimmung in unsere Kuchl. Der Vater saß schweigend auf dem Kanapee, ab und zu sah er unvermerkt auf die hantierende Mutter, und seine Züge wurden traurig. Er knirschte plötzlich mit den Zähnen, machte eine hastige, wegwerfende Bewegung mit dem Arm, stand wortlos auf und ging davon, ins Wirtshaus.
    Die Bauleute setzten sich zum Teil aus bärtigen, dunkelhäutigen, ausgedörrten Italienern zusammen, die die Böhmen von früher verdrängt hatten. Sie redeten ein ziemlich unverständliches Kauderwelsch zusammen, aber sie schufteten viel ergebener als die einheimischen, meist schon gewerkschaftlich organisierten Maurer. Sie kamen scharenweise Sommer für Sommer aus den armen Gegenden ihrer fernen Heimat, arbeiteten für jeden Lohn und kannten nur eine Kameradschaft unter sich, die wahrscheinlich auch nur von der gleichen Sprache herrührte. Sie knauserten und sparten und waren auf jeden Pfennig Nebenverdienst gierig erpicht. Dadurch kam es zwischen ihnen und den selbstbewußteren Einheimischen manchmal zu Reibereien, die nicht selten blutig endeten. Da nämlich wurden die sonst so unterwürfigen, scheinbar friedlichen Italiener unheimlich, denn sie griffen schnell zum Messer.
    Für uns Kinder waren diese fremdartigen Menschen der Inbegriff der Abenteuerlichkeit. Sie lebten ungemein bedürfnislos und schliefen, weil das nichts oder fast nichts kostete, auf dem Heu, drüben in der Tenne des ehemaligen Schmalzerhauses vom Jakob Windel, der neben einer kleinen Ökonomie einen konzessionierten Flaschenbier-Vertrieb und Ausschank betrieb. Nach Feierabend, wenn die »Katzelmacher« – wie man die Italiener wegen ihres allzu reichlichen Kindersegens zu nennen pflegte – im Hof vom Windel um ein großes Feuer hockten, ihre dicke Minestra-Suppe wärmten, ab und zu auch einmal Kartoffeln brieten und bedächtig ihr Brot dazu kauten, standen wir Kinder staunend um sie und verfolgten neugierig alle ihre Gesten und Bewegungen. Ängstlich hielten sie eine Handfläche unter ihr Stück Brot, um nur ja keine Krume zu verlieren. Hin und wieder, wenn einer aufgegessen und die Brotkrumen in den Mund geschüttet hatte, sah er zum hohen, sternübersäten Himmel empor und stieß –

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