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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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meistens darauf, die schaurige Geschichte von den Windels zu erzählen.
    Mit der Zeit jedoch wurde die Windlin langsam vergessen. –
    Der Maxl war schon ein paarmal aus München zu Besuch gekommen. Er hatte sich ein neues Fahrrad gekauft. Der Vater führte ihn durch die neuen Räume und sagte: »Da, wenn ich einmal nicht mehr bin, Maxl, da brauchst du bloß übernehmen.« Der Maxl machte dabei eine Miene, als wollte er sagen: »Na, ich hätte verschiedenes anders gemacht.« Dann erzählte er in der Kuchl, daß er bald auf die Wanderschaft gehe, denn seine Lehrzeit lief bald ab.
    »Ich fahr’ mit dem Radl! … Der alte Handwerksbursch hat sich überlebt«, sagte er ein wenig besserwisserisch. Dieser Wagemut gefiel dem Vater, und auch wir bewunderten Maxl im stillen. Die Mutter freilich meinte, der Älteste gehöre ins Haus.
    »Ah! Ah! Ein junger Mensch muß sich die Welt anschauen!« rief unser Vater und erinnerte an seine Wanderschaft: »Hast schon recht, Maxl! Und, naja, schreibst halt, wenn du was brauchst! Wir schicken schon.« Bald darauf kam eine Postkarte aus Ingolstadt: »Schickt Geld, hauptpostlagernd nach Stuttgart, Gruß Maxl.«
    »Ha! So kann ich auch reisen!« warf Theres hin, die nur um zwei Jahre jünger war als der Maxl. Sie fuhr jetzt statt der Marie das Brot nach Leoni und wuchs langsam in das heiratsfähige Alter hinein.
    Der Vater aber ließ solche Einwände nicht gelten und wies sie ärgerlich zurecht, indem er sorglos rief: »Die paar Mark, die der braucht! Was macht denn das schon aus!« Jetzt konnte er auch so reden. Man brauchte nicht mehr ängstlich rechnen. Die frühere Knappheit war einer breiten, stetig wachsenden Wohlhäbigkeit gewichen.
    »Jeder von euch kann werden, was er mag!« sagte der Vater nicht ohne verborgenen Stolz und sah auf uns. So wollte er es auch halten.
    Aus dem Eugen, der der schönste von uns Buben war, wollte er etwas ganz Besonderes machen. Er schickte ihn auf die kaufmännische Handelsschule nach München. Nebenbei war Eugen Volontär bei einer internationalen Transportfirma Francesco Parissi & Co. und wollte Buchhalter werden. Fast jeden Sonntag besuchte er uns. Er war stets etwas geckenhaft elegant gekleidet, und die Mädchen umschwärmten ihn. Er war gescheit, heiter, gesellig und tanzte ausgezeichnet. Wir alle liebten ihn.
    Emma tanzte auch schon trotz ihrer knappen elf Jahre, und sie sehnte sich danach, bald erwachsen zu sein. Sie war ein wenig durchsichtig, sehr schlank und schön, sie sang gut und hatte ein empfindsames Gemüt. Wir Jüngeren waren noch nicht so ausgeprägt, lebten kindlich in den Tag hinein und begeisterten uns an allem Neuen.
    Einmal in jener Zeit brachte der Briefbote ein dickes Kuvert aus Amerika, und als der Vater es öffnete, fiel aus dem Brief eine längliche grüne Dollarnote mit einem schönen Indianerkopf darauf.
    »Lieber Max, – ich schicke für die Kinder einen Spargroschen«, schrieb die Stasl aus Seattle in den Weststaaten, »hoffentlich geht’s Dir und der Resl und der Kathl gut. Grüße auch die alte Resl und alle Bekannten. Mein Mann workt bei den Miners im Bergwerk. Ist harte Arbeit. Haben ein house und verrente an Miners, wo aus Deutschland, Holland und Österreich kommen. Gibt auch zwei Dollars from man the week. In Amerika schafft alles, auch die Frau. Wir sind gesund, aber schreib wieder einmal! Hab’ neulich ein newspaper gelesen, daß das house, wo Jefferson anno 1775 the Declaration of Independence written hat, einem Graf gehört hat. Der ist in Philadelphia gewesen. Interessiert mich und will einmal researchen. Dieser Graf I think muß einer von den Salzburgern, wo der Kastenjakl written hat, gewesen sein.
    Wenn wieder ein Dollar übrig, schick’ ich ihn. Muß schließen, weil the train geht. Mein Mann workt und kommt nicht vor Nacht heim. Herzliche Grüße – Stasl.«
    Nachdenklich hielt der Vater, den wir alle neugierig umringt hatten, die Banknote in der Hand.
    »Hm, sie meint, es geht uns schlecht«, murmelte er gerührt. »Sie glaubt, es ist noch alles beim alten.« Er schaute auf die Mutter und fuhr fort: »Soviel ich herauslesen kann, geht es ihnen nicht gar gut … Sie kann auch schon nicht mehr recht deutsch … Ich will ihr einmal schreiben. Sie soll doch ihr Geld behalten, sie braucht’s doch …«
    »Das ist doch kein Geld! Das gilt ja gar nicht bei uns«, sagte die Mutter, auf den Dollar blickend. »Das schaut ja aus, als wie wenn sie’s selber machen.« Sicher kam ihr Amerika unfaßbar

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