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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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vor, ganz wild, und ungefähr so weit entfernt wie der Mond. Der Vater mußte ein wenig lächeln. Er überließ uns Kindern den Dollar zum Spielen. Wir glotzten ihn von allen Seiten an. Der Indianerkopf interessierte uns am meisten. Wir rochen an dem Schein, und es kam uns vor, als habe er einen ganz fremden Geruch.
    »An den Kastenjakl denkt sie noch und schreibt was von den Salzburgern … Ich will einmal den Lehrer Strasser fragen, was das alles heißt«, sagte der Vater in sich hineinsinnend. Er schwieg eine Weile.
    »Hm, da wär’ sie lieber daheimgeblieben«, meinte er endlich wiederum. »So gut hätt’ sie es da auch gehabt, und dort ist sie fremd …« Es klang ein klein wenig traurig. Die Mutter dagegen fand das nicht so schlecht: Der Mann in der Arbeit und die Stasl ein eigenes Haus.
    In dem Augenblick fingen wir laut zu streiten an, weil der Maurus mit dem Dollar davonlaufen wollte. Der Vater schimpfte und nahm ihm die Banknote. Er zeigte sie dem Wagner Neuner und anderen Dorfleuten, und die musterten das sonderbare Papier genau so ungläubig wie unsere Mutter.
    »Haha, jetzt da schau her … In dem Amerika, da macht sich scheint’s jeder sein Geld selber … So was wär’ praktisch«, sagte der Schmalzer-Hans, als er bei uns seinen Kornschnaps trank, und unsere Mutter pflichtete ihm bei: »Jaja, ich hab’s auch gesagt …«
    Später klebte der Eugen die grüne Banknote in der Backstube an die Wand, wo sie jahrelang blieb. Kein Mensch beachtete sie sonderlich.
    Nachdem der Lehrer Strasser Stasls Brief entziffert hatte, erwachte in unserem Vater ein reges Interesse. Er fing in den alten Papieren vom Kastenjakl zu lesen an und fand auch tatsächlich die Stelle, wo es heißt, daß einer von den vertriebenen waldensischen Grafs – man schrieb damaliger Zeit entsprechend noch »Graff« – »übers große Meer gefahren« sei. In einem langen Brief teilte er der Stasl das mit, aber es kam lange, lange Zeit keine Antwort mehr. Schließlich brachte der Postbote eine bunte Karte mit einer fremden Ansicht. Stasl schrieb wohl von dem Brief unseres Vaters, doch allem Anschein nach hatte sie schon wieder ganz andere Sorgen und erwähnte nichts mehr von Jefferson und dem Philadelphianer Graf.
    Der Vater war verstimmt und schrieb nicht mehr. –

Alltag und Feste
    Die Jahre vergingen rasch. Niemand achtete darauf. Das Leben war durchaus nicht eintönig. Im Haus, im Dorf und in der Pfarrei ging es bunt und mitunter sehr lebhaft zu. Helles und Düsteres lagen dicht beieinander.
    An das Windelanwesen grenzte das hochgiebelige Baderhaus. Beim Bader waren schon großgewachsene Söhne und Töchter da. Der älteste hatte bereits geheiratet und den Hof übernommen. Der alte Bader war längst Witwer und lebte im Austrag. Er kam einmal in unseren Laden und verlangte einen Kalbstrick. Genau prüfte er, ob der Strick auch haltbar genug sei.
    »Tragt denn bei euch eine Kuh? Kommt schon wieder ein Kalb?« fragte ihn unsere Mutter. Der zerknitterte, kleine Mann mit den grauen Stichelhaaren wurde unwirsch und sagte gereizt: »Ich brauch’ einen guten, festen Strick, basta! Sei froh, wenn du ein Geschäft machst!« Jeder Mensch kannte den alten Sonderling, der schon lange an einem unheilbaren Blasenleiden litt und ins Bett näßte. Zuweilen zweifelten die Leute an seinem Verstand. Die junge Bäuerin war sehr fromm. Sie legte religiöse Gelübde ab und ließ viele Messen lesen. Es war schwer zu sagen, ob sie dem stets mürrischen, streitsüchtigen Alten Gesundung erflehen wollte oder den verborgenen Wunsch hatte, der Allmächtige möge ihn bald von aller Erdenpein erlösen und zu sich nehmen.
    »Schlecht siehst du aus, Bader … Wie geht’s dir denn?« wandte sich unsere Mutter wieder an den Bauern, der noch immer an dem Strick zog.
    »Ewig das gleiche! Zum Verrücktwerden! … Jeder ekelt sich vor mir«, erwiderte der Alte und legte das Geld hin.
    »Jaja, wenn man alt wird! … Das Leben ist kein Kinderspiel. Und Kranksein noch dazu, da braucht’s Geduld«, sagte die Mutter mitleidig. Mürrisch ging der Alte zur Türe hinaus.
    Am anderen Tag in der Frühe sammelten sich die Nachbarn vor dem offenen Tennentor des Baderhofes. Sie reckten die Hälse, redeten betroffen ineinander und schauten hinauf zum hohen, dunklen Gebälk der Tenne. Da hing – dünn und starr – am neuen Kalbstrick von einem Balken herunter der tote, alte Bader. Er hatte sein Leiden nicht mehr ertragen.
    »Hmhm, und von mir hat er gestern den

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