Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Kindsgeburten, ungerechtfertigte Erniedrigung und Beleidigung durch Menschen, mit denen sie dennoch unbeirrbar verbunden blieb, hatte sie stumm und demütig ertragen. Die wenigen kleinen Freuden dazwischen waren ihr immer wie ein beglückender Lohn erschienen, für den man dem Herrgott dankbar sein mußte. Obgleich der Vater das gerade Gegenteil von ihr gewesen war, ja, zuweilen fast etwas für sie, das viel eher nach Unglück als nach Glück aussah und das sie gleichsam bußfertig als eine zwar peinigende, aber doch unabwendbare Schickung ertrug: ihrem Leben hatte dieser hitzige Mann trotz alledem den einzig gemäßen Inhalt gegeben. Mutter war sie durch ihn geworden und die ganzen Jahre hindurch geblieben, Mutter und sonst nichts.
»Sag einmal, Mutter, hast du eigentlich damals, wie du ihn geheiratet hast, den Vater geliebt?« fragten sie lange nach Vaters Begräbnis die Theres und Emma einmal. Sie lächelte dünn und verlegen und hatte einen Blick, als verstehe sie diese sonderbare Frage nicht.
»Hm«, machte sie dann, »ich hab’ schon müssen.«
Nicht nur unsere älteren Geschwister, auch wir jüngeren nahmen die religiösen Dinge schon eine Zeitlang nicht mehr allzu ernst. Wir hielten uns zwar gewohnheitsmäßig an die kirchlichen Gebräuche, aber wir glaubten kaum noch etwas. Wie und woher das gekommen war, darüber dachten wir nicht nach.
Dem neuen Pfarrer fiel unsere Gleichgültigkeit auf, und er stellte unsere Mutter einmal zur Rede. Sie sah ihn mit leichter Traurigkeit, aber geduldig an und meinte: »Ja, mein Gott, Hochwürden, was kann ich denn machen! Sie folgen mir ja nicht mehr! Wenn sie nichts mehr glauben und beten, dann muß ich es halt für sie tun.«
Das entsprach ihrer duldenden Natur. Überzeugen und zwingen konnte sie nicht. Sie nahm wie zu Lebzeiten des Vaters lieber alles auf sich, nur damit Frieden bleibe und der Zusammenhalt nicht zerbreche. Darin allein sah sie, seit sie ins Berger Bäckerhaus gekommen war, etwas wie den Sinn ihres Lebens.
Nun aber, nach all dem Erlittenen, verlor sie die Spannkraft und fing an, sichtlich zu altern. Sie arbeitete zwar eher noch mehr als früher, und wir merkten kaum eine Veränderung an ihr. Sie lachte nur noch ganz selten. Im Verborgenen fühlte sie vielleicht still, hilflos und überwältigt, was durch den Vater verlorengegangen war, denn jetzt wuchs alles mitleidslos von ihr weg, jetzt zerbrach aller Zusammenhalt zusehends.
Der Eugen mußte zum Militär einrücken. Die Emma hatte ausgelernt und richtete sich eine Näherei in der Mädchenkammer ein. Der Maurus war wieder nach Karlsruhe gefahren, um auszulernen, und die Theres, die noch das Brot ausfuhr, wollte allem Anschein nach überhaupt nicht heiraten. Sie überlegte, was sie für einen Beruf wählen sollte. All diesen älteren Geschwistern wagte der Max nichts einzureden. Sie standen ihm gewissermaßen in gewaffneter Feindschaft gegenüber. Er mied sie nur.
Anna und ich schlossen uns dem Lenz an und bildeten einen Kreis für uns. Der Lenz war kräftig, jähzornig und draufgängerisch, aber ebenso naiv, ein bißchen phantastisch mitunter und sehr abenteuerlich. Er bestellte heimlich Flobertgewehre und bildete mit uns und einigen gleichaltrigen Kameraden eine Wildererbande. Wir durchstreiften an den Sonntagnachmittagen die Wälder und schossen Rebhühner, Fasanen und Hasen. Das erlegte Wild briet der Bäckergeselle nachts im Backofen, und Lenz und er verzehrten es. Durch einen dummen Zufall wurde die Sache ruchbar. Der Starnberger Gendarm ging einmal an unserem Düngerhaufen vorüber und sah eine Unmenge frischer Fasanenfedern. Er kam in den Laden und sagte überlegen spöttisch zu unserer Mutter: »Da schauns, Frau Graf, schön sind so Fasanenfedern, was? Sehr schön! Wie wunderbar die Farben ineinanderspielen.« Gendarmen und Amtspersonen fürchtete und haßte unsere Mutter seit jeher. Sie brachten stets nur Schlechtes über ruhige Menschen. Aus Instinkt log meine Mutter solche Leute an, und das fand sie vollkommen richtig. Als nun der Herr Gendarm so süßmäulig daherredete und mit der Fasanenfeder spielte, sah sie ihn verständnislos, aber sehr mißtrauisch an und witterte nichts Geheures.
»Da hab’ ich auf Ihrem Misthaufen ganze Büschel gefunden, Frau Graf«, fuhr der listig lächelnde Gendarm fort und drehte die paar Federn in seinen behaarten Fingern hin und her. »Hmhm … Es hilft nichts, da muß ich doch einmal ein bißl genauer im Haus nachschauen.« Der Maxl war in den Laden
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